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151Religion
und Gewalt im Grenzkonflikt bei Melilla, 1860–1863
gemäß: »Gottes Segen«41) galten und deren Fällen nach muslimischem Recht
verboten war42. Die heiligen Stätten selbst waren überdies kaum auf ihre rein
religiöse Funktion zu reduzieren, sondern sie umfassten vielmehr gleichzei-
tig soziale und politische Elemente. Sie dienten als Versammlungsorte für
das Freitagsgebet, als Unterkunft für Reisende, als Schutzraum für Verfolgte,
als soziales Zentrum für Frauen, als Schulräume für den Koranunterricht
und vieles mehr43. Dadurch gewinnt nicht nur der Konflikt um das Grenzge-
biet im Allgemeinen, sondern auch der Konflikt um die Moschee im Beson-
deren eine ganz eigene Brisanz für die marokkanische Seite, da es im Kern
nicht mehr nur um Landbesitz und wirtschaftliche Faktoren, sondern darü-
ber hinaus um religiöse, politische und soziale Ressourcen ging.
Während das Gelände für die angrenzenden Berberstämme also von viel-
schichtiger Bedeutung war, erhofften sich die Spanier mit der Erweiterung
des Territoriums um die Exklave in erster Linie die bessere Verteidigung und
Sicherheit der Stadt. Zugleich boten die territorialen Zugewinne perspekti-
visch die Möglichkeit einer Ansiedelung spanischer Siedler und damit einer
Ausweitung des spanischen Einflusses in der Region, auch unter kolonial-
expansivem Blickpunkt. Des Weiteren hoffte man, durch die gewonnenen
Weide- und Ackerflächen den permanenten Versorgungsengpässen der
Stadt entgegenzuwirken. Auf spanischer Seite war die Auseinandersetzung
also zunächst von sicherheitspolitischen, wirtschaftlichen und expansiven
Interessen geprägt. Religion wurde vorerst nicht oder zumindest nicht pri-
mär als Interessensfeld artikuliert.
Auch wenn der Zugang zur Moschee anfangs weiterhin gestattet wurde,
begann man auf spanischer Seite mit der Inbesitznahme des Territoriums,
was Rodungsarbeiten und erste Arbeiten für die geplante Umleitung des
Flusses Río de Oro bedeutete. Insbesondere die Rodungen im Umfeld der
Moschee schienen dabei zunehmend für Unruhen zu sorgen. Am 27.
August
1863 kam es schließlich zu einem Ereignis, das, so die Einschätzung des
»Gibraltar Chronicle«, »die Erneuerung des chronischen Kriegszustands
zwischen der spanischen Siedlung und den Riffbewohnern«44 zur Folge hatte
und in der Exklave bleibenden Eindruck hinterließ.
41 Zur Bedeutung und breiten Anwendung des Begriffs vgl. Westermarck, Ritual and
Belief, Bd. 1, S. 35–147 sowie Brian Morris, Religion and Anthropology. A Critical
Introduction, Cambridge 2006, S. 106.
42 Vgl. Hart, The Aith Waryaghar, S. 188.
43 Vgl. El Mansour, The Sanctuary, S. 49–73 sowie Coon, Tribes of the Rif, S. 112f.
44 The Gibraltar Chronicle, 5. September 1863, zitiert nach The Morning Post, 11. Sep-
tember 1863.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918