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153Religion
und Gewalt im Grenzkonflikt bei Melilla, 1860–1863
fungen, die die Kampfhandlungen begleiteten. Als »perros cristianos«, also
»Christenhunde«, hätten die Berber »wie üblich« die Spanier beschimpft und
damit gedroht, ihnen die Köpfe abzuschneiden51. Als wenige Tage nach der
gewalttätigen Auseinandersetzung drei tote Spanier im Grenzgebiet gebor-
gen wurden, schienen ihre verstümmelten Leichname das barbarische Wesen
der Berber nur zu bestätigen:
[E]iner von ihnen war ohne Kopf und besaß nur noch Kiefer und Nackenhaut; die
anderen beiden hatten so zermalmte Köpfe, dass sie nicht einmal die Dicke von
zweieinhalb Daumenbreiten maßen; und allen dreien war der Unterleib nach außen
gekehrt; man sah außerdem, dass man sie ins Feuer geworfen hatte52.
Diese Schilderungen mochten der Wahrheit entsprechen, zielten aber gleich-
sam darauf ab, die Grausamkeit der Riffbewohner und die Unrechtmä-
ßigkeit ihres Angriffs gegenüber einer spanischen Leserschaft zu betonen.
Beleidigungen oder Beschimpfungen von spanischer Seite werden in kei-
nem der Berichte erwähnt, ebenso wenig wie die Schändung gegnerischer
Leichen durch spanische Soldaten. Solche und ähnliche verbale oder sym-
bolische Gewaltakte waren zwar durchaus auch auf spanischer Seite in den
Grenzregionen um die Exklaven keine Seltenheit53, deren Schilderung hätte
allerdings den Eindruck des tadellosen spanischen Verhaltens getrübt, den
die Berichterstatter zu vermitteln bemüht waren. Nichtsdestotrotz ist in den
spanischen Zeitungen euphorisch von einem »großen Gemetzel« unter den
muslimischen Riffberbern die Rede54, deren Leichname das Grenzgebiet
»buchstäblich übersäten«55. Man kann also davon ausgehen, dass die Aus-
einandersetzung brutal verlief und zahlreiche Opfer forderte – was letztlich
Rachegefühle auf beiden Seiten der Grenze begünstigte.
Die drohende Einnahme der Exklave durch die Berber wurde von Maldo-
nado und anderen Augenzeugen56 mit einer religiösen Bedrohung (»Krieg
den Christen«) gleichgesetzt. Diese Deutung sagt dabei zunächst weniger über
eine tatsächliche religiöse Motivation der Berber aus, die, wie zu sehen war,
auch zahlreiche andere Gründe hatten, sich der Inbesitznahme ihres Territo-
riums gewaltsam zu widersetzen, sondern viel mehr über die Wahrnehmung
51 La Época, 2. September 1863.
52 El Pensamiento Español, 14. September 1863.
53 So war es beispielweise im September 1859 zu gewaltsamen Zusammenstößen bei
Ceuta gekommen, bei denen es auf Seiten der Anghera mehrere Tote gegeben hatte.
Diese wurden anschließend von spanischen Soldaten an Pferdeschwänze gebunden
und durch die Reihen Schaulustiger geschleift, vgl. La Discusión, 20. September
1859.
54 La Iberia, 3. September 1863.
55 La España, 1. September 1863.
56 Vgl. den Bericht in La Época, 2. September 1863.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918