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155Religion
und Gewalt im Grenzkonflikt bei Melilla, 1860–1863
takte zwischen den Exklaven und dem Umland auszubauen und sie dadurch
perspektivisch zu spanisch dominierten wirtschaftlichen Knotenpunkten in
Marokko zu machen60. Eine religiöse Toleranz, wie sie die spanischen Gene-
räle Rafael de Echagüe und Leopoldo O’ Donnell am Ende des Krieges den
Marokkanern versprochen hatten61, ließ sich aus der proklamierten »Brü-
derlichkeit« nicht ableiten62 – offenbar vor allem dann nicht, wenn man sich
akut durch den muslimischen »Bruder« bedroht sah, wie dies am 27. August
1863 in Melilla der Fall war.
In den Tagen, die auf den 27. August folgten, verbreitete sich die Nach-
richt, dass es auch bei den von Melilla aus verwalteten »presidios menores«
Alhucemas und Peñón Velez de la Gomera zu Ansammlungen bewaffneter
Riffbewohner gekommen war, sodass von einer konzertierten Aktion gegen
die spanische Präsenz in Nordafrika die Rede war63. Der Konflikt war offen-
bar von erheblich breiteren Ausmaßen, als es der Grenzkonflikt bei Ceuta
gewesen war, der als Vorwand zur spanischen Kriegserklärung an Marokko
gedient hatte64. »Die Situation ist sehr ernst«, drohte Merry y Colom, der
spanische Botschafter in Tanger65, seinem marokkanischen Verhandlungs-
partner, Muley el-Abbás. »[M]an hat spanisches Blut vergossen, man hat
unsere Flagge beleidigt und man hat den Frieden gebrochen. Das spanische
Volk verlangt sofortige und umfassende Wiedergutmachung«66. Die Bestra-
fung der angeblichen Hauptverantwortlichen für die Eskalation sollte, so die
Forderung Merry y Coloms im Auftrag der spanischen Regierung, vor den
Toren der Exklave erfolgen und damit als Exempel dienen67.
60 Maldonado an die Anführer der benachbarten Berberstämme, Melilla, 25. August
1863, AGMM, Caja 0426, Leg. 6, Carp. 10. Diese Absicht teilten die spanischen Auto-
ritäten vor Ort, die sich mit dem Ausbau der Exklaven zu Handelsknotenpunkten
ein spanisches Gegengewicht zum britischen Gibraltar erhofften, vgl. Merry y Colom
an den spanischen Staatsminister, Marrakesch, 5. Juni 1863, in: María José Vilar,
Diario del viaje y misión diplomática de Francisco Merry y Colom a Marraquech en
1863, Murcia 2014 [Faksimile-Edition von 1894], S. 185–188; vgl. Jean-Louis Miège,
Le Maroc et l’ Europe (1830–1894), Bd. 3: Les difficultés, Paris 1962, S. 166f. Allge-
mein zur wirtschaftlichen Rolle von Ceuta und Melilla in der marokkanischen wie
spanischen Geschichte im 9.–20. Jahrhundert vgl. Zaïm, Le Maroc.
61 Vgl. Evaristo Ventosa, Españoles y Marroquíes. Historia de la Guerra de África,
Barcelona 1859, S. 121f.
62 Das deutlichste Gegenbeispiel zur proklamierten religiösen Toleranz war die Umwid-
mung der Hauptmoschee in Tétouan in eine katholische Kirche durch die spanischen
Besatzer. Vgl. Martin-Márquez, Disorientations, S. 109.
63 Merry y Colom an Mohammed Vargas, den marokkanischen Außenminister, Tan-
ger, 17. September 1863, AGA (15)17 SAM, 81 / 00130.
64 El Contemporáneo, 12. September 1863.
65 Zu Merry y Colom vgl. Vilar, Diario, S. 25–31 sowie Miège, Le Maroc et l’ Europe,
Bd. 3, S. 160–169.
66 Merry y Colom an Muley el-Abbás, Tanger, 1. Oktober 1863, AGA (15)17 SAM,
81 / 00130.
67 Ebd.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918