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160 Sara Mehlmer
Um die Komplexität der Grenzsituation noch zu verschärfen, soll nun
abschließend kurz auf eine Personengruppe eingegangen werden, die stell-
vertretend für andere »Grenzgänger« in der Region mit dem binären Grenz-
schema brach. Im November 1863, parallel zur Zerstörung der Moschee,
ergingen Forderungen seitens des Sultans an die spanische Vertretung in
Tanger, diejenigen Berber, die sich in Melilla unter dem Schutz des spani-
schen Staates befänden, unverzüglich auszuliefern89. Dabei handelte es sich
um Angehörige einer seit 1859 bestehenden und 1862 neu gegründeten mili-
tärischen Einheit, den sogenannten »Tiradores del Rif«90, die aus den benach-
barten Berberstämmen rekrutiert worden und nach ihrem Treueschwur auf
die Königin und die spanische Regierung zu spanischen Protegés geworden
waren – ohne dabei ihre Religion aufzugeben. Eben diese Tiradores und
deren angebliche kriminelle Vergangenheit seien, so die Argumentation
des Sultans, die von Merry y Colom übernommen wurde, die eigentliche
Ursache für die Animositäten zwischen der Exklave und dem Riffgebiet; sie
müssten daher aus der Region entfernt werden91. Ob die Zustimmung Muley
el-Abbás’ zur Zerstörung der Moschee, deren Erhalt er noch ein Jahr zuvor
gefordert hatte, im Zusammenhang mit den Auslieferungsforderungen zu
sehen ist, bleibt unklar.
Während Merry y Colom der Argumentation des Prinzen folgte, verteidigte
Maldonado die ihm persönlich bekannten Tiradores vehement, da sich diese in
seinen Augen bei der Verteidigung Melillas am 27.
August besonders hervor-
getan und ihre Verbundenheit mit ihrer neuen spanischen Heimat dabei »mit
ihrem Blut besiegelt« hätten92. Tatsächlich hatten einige von ihnen für ihren
Einsatz am 27. August das Ehrenkreuz der spanischen Königin erhalten93.
Eine Auslieferung der Tiradores an Marokko erfolgte zwar letztlich nicht –
weniger aus Pflichtgefühl der spanischen Regierung ihnen gegenüber als
vielmehr aus Sorge, dies könne als Schwäche Spaniens ausgelegt werden94 –,
89 Muley el-Abbás an Francisco Merry y Colom, 19. November 1863 [spanische Über-
setzung von Felipe Rizzo], AGA (15)17 SAM, 81 / 00131.
90 Diese Einheit ist bisher, abgesehen von einigen wenigen, überwiegend im militä-
rischen und / oder kolonialen Umfeld entstandenen militärhistorischen Arbeiten,
kaum erforscht. Zu diesen Arbeiten zählen u.a. Enrique Arques / Narciso Gibert,
Los Mogataces. Los primitivos soldados moros de España en Africa, Ceuta / Tétouan
1928 sowie, neueren Datums, José Luis de Mesa Gutiérrez, De los mogataces a la
milicia voluntaria de Ceuta, Lorca (Murcia) 2017.
91 Bericht des spanischen Kriegsministers an den Staatssekretär, 19. Januar 1864, AGA
(15) 17, Sektion Afrika, Marokko, 81 / 00131.
92 Maldonado ans Kriegsministerium, 21.
November 1863, AGA (15)17 SAM, 81 / 00131.
93 Vgl. Arques / Gibert, Los mogataces, S. 100.
94 Der spanische Kriegsminister an den Staatssekretär, 7. Mai 1864, AGA (15)17 SAM,
81 / 00131.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918