Seite - 161 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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161Religion
und Gewalt im Grenzkonflikt bei Melilla, 1860–1863
doch sie wurden aus Melilla entfernt. Mitsamt ihren Familien kamen sie im
muslimischen Viertel Ceutas unter und verblieben zum Teil über Generatio-
nen hinweg in spanischen Diensten.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Grenzsituation um Melilla
Mitte des 19. Jahrhunderts um einiges komplexer war, als es den Anschein
hatte. Auch ein Ereignis wie der Abriss einer Moschee durch spanische
Katholiken lässt sich nicht allein als religiöser Gewaltakt verstehen. Ver-
schiedene Konflikt- und Interessenebenen, konkrete Gewalterfahrungen
und Furcht vor neuer Gewalt, persönliche Kontakte und Animositäten ver-
mischten sich hier vielmehr zu einem explosiven Gemisch, das sich in physi-
schen wie symbolischen Gewaltakten auf beiden Seiten der Grenze entladen
konnte. Religion spielte dabei erstens eine verstärkende Rolle, indem sie die
emotionale Aufladung von Konflikten durch die Anrufung lokaler Heiliger
oder durch die Deutung erfahrener Gewalt als religiös motiviert begünstigte.
Dabei ließ sich auf beiden Seiten der Grenze auf bekannte Feindbilder und
(nationale) Mythen rekurrieren. Neben einer abstrakten, mythischen Erin-
nerung an Gewalt in Form von Legenden und Heldengeschichten, die auch
in der Heiligenverehrung ihren Niederschlag fand, existierten auf beiden
Seiten der Grenze zudem ganz konkrete Erinnerungen an erfahrene Gewalt
und akute Bedrohung. Der sogenannte »Afrikakrieg« war dabei prägend,
aber eben auch die daraus resultierende Ausweisung und Landnahme durch
die Spanier auf der einen sowie der berberische Angriff vom 27.
August 1863
auf der anderen Seite.
In einer Grenzregion, in der die territorial-nationale mit der religiösen
Zugehörigkeit weitgehend identisch war, bot sich zweitens das religiöse Feld
zum Zwecke der nationalen Machtdemonstration einerseits und der Kollek-
tivstrafe andererseits an, sodass der Abriss der Moschee nicht nur als Teil
des spanischen Aneignungsprozesses, sondern auch als Bestrafungsakt für
die sich widersetzenden Berber gewertet werden kann. Ein Ausfechten des
territorialen Konflikts auf symbolisch-religiöser Ebene mochte von den spa-
nischen Akteuren anfangs nicht beabsichtigt gewesen sein, wurde aber in
Kauf genommen und schließlich mit dem Ziel, den Widerstand der Berber
endgültig zu brechen, instrumentalisiert. Eine vom Sultan autorisierte sym-
bolische Machtdemonstration gegenüber den Berbern war, so lässt sich die
Aussage Merry y Coloms verstehen, auch im Rahmen einer Erweiterung des
spanischen Einflusses in Marokko von Vorteil.
Religion ist im betrachteten Grenzkonflikt letztlich drittens als Teil eines
Ressourcenkonflikts zu verstehen. Während Hector Avalos religiöse Gewalt
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918