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Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Seite - 171 -
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171Kollektive Gewalt und die religiöse Politisierung von Bauern denen zukünftige Opfer als Bedrohung und eigentliche Aggressoren dar­ gestellt wurden, um die Übergriffe als Notwehr oder gerechte Bestrafung zu  inszenieren26. Der Statusunsicherheit, welche die Nachrichten über einen möglichen Herrschaftswechsel vom mystifizierten, guten, aber fernen Kaiser hin zur bekannten, aber unbeliebten »Szlachta«, dem polnischen Adel, ausgelöst hat­ ten, begegneten die Bauern, indem sie Informationslücken mit improvisierten Nachrichten füllten. Diese verbanden alte Wünsche nach einer Abrechnung mit den ungeliebten »(Guts)herren« mit dem polarisierenden Thema der Abstinenz27. Entsprechend kam es dazu, dass Gegner und Befürworter der katholischen Nüchternheitskampagne in der Gewaltwelle vereint gegen den Antagonisten Adel vorgingen. Mithin stellten die Gewalttaten eine durch die Abstinenzkampagne verloren gegangene Einheit des Bauernstandes situativ wieder her. Es kam zu Vorfällen, in denen Alkoholvorräte vernichtet wurden und somit das Übel der bäuerlichen Misere symbolisch ausgemerzt wurde28. Ebenso betranken sich jedoch viele Gewalttäter mit erbeutetem Alkohol. Sie inszenierten den Ausnahmezustand geradezu als Beendigung der Abstinenz und als Selbstermächtigung, den vor ihnen vermeintlich versteckt gehalte­ nen Branntwein doch zu erhalten29. Auch einige Übergriffe gegen Priester drückten sich als physische oder symbolische Bestrafung für bauernfeindli­ ches Verhalten in der Alkoholfrage aus. So wurde ein Priester in Jastrzębie mit Gewalt dazu gezwungen, einen Schwur auf »die Revolution«, also den »Rabatz«, zu leisten und dabei in Nachahmung der Wallfahrtsgelöbnisse ebenfalls auf die Knie zu sinken30. Unzählige Briefe von Klerikern an ihre Bischöfe äußerten Entsetzen über das Verhalten und völlige Entfremdung von ihren Gläubigen im Angesicht dieser blutrünstigen Gewalt. Ihr patriar­ chalischer Habitus fand keine Bestätigung mehr unter den Gläubigen. Die wortgewaltige Predigt, welche die Autorität von Gott und Kaiser hinter sich wusste, zeigte nur bei wenigen Gläubigen die gewünschte Reaktion der zer­ knirschten Reue, während die Mehrheit sich der angebotenen Umkehr durch Flüstern, Murren und Drohen verweigerte. 26 Siehe auch Donald L. Horowitz, The Deadly Ethnic Riot, Berkeley CA 2003. 27 Siehe auch Hans­ Joachim Neubauer, Fama. Eine Geschichte des Gerüchts, Berlin 2009. 28 So berichteten die Kreishauptmannschaften Wadowice und Neu­ Sandez von Zerstö­ rungen von Destillerien und dem Aufbrechen und Vergießen von Schnapsfässern, was beide Stellen in Zusammenhang mit den Nüchternheitsgelöbnissen setzten; Archivum Państwowe w Krakowie [im Folgenden ArPKr], B2, tc5, Bl.  26. 29 Diese Beendigung der Enthaltsamkeit war quasi ein Fastenbrechen und verstärkte dadurch den karnevalesken, ausschweifenden und die üblichen Regeln von Autorität auf den Kopf stellenden Charakter des »Rabatzes«. 30 Vgl. Kracik, W Galicji trzeźwiejącej, S.  31.
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Glaubenskämpfe Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Titel
Glaubenskämpfe
Untertitel
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Herausgeber
Eveline Bouwers
Verlag
Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-666-10158-8
Abmessungen
15.9 x 23.7 cm
Seiten
362
Schlagwörter
19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
Kategorien
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