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Vor 1918
Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Seite - 174 -
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174 Tim Buchen politische Ordnung nach ihren Spielregeln durchsetzen können. Doch im Jahr 1879 stützte sich mit Eduard Taafe erstmals ein Ministerpräsident auf eine konservative Mehrheit aus klerikalen und slavischen Abgeordneten im Unterhaus des Wiener Reichsrats. Die Stimmen aus den Provinzen überwo­ gen nun erstmals jene der hauptstädtischen Elite. Die konservative Wende hatte viele Ursachen. Die ökonomische Krise dis­ kreditierte im Deutschen Reich und der Habsburgermonarchie den liberalen Laissez-faire Kapitalismus nachhaltig. Zudem beendete der 1878 zum Papst erwählte Leo XIII. die unter Pius IX. selbstgewählte politische Isolation der katholischen Kirche. Das war die Voraussetzung dafür, dass Laien und Kleri­ ker mit einer ultramontanen Agenda erstmals in den politischen Wettbewerb eintreten und die Ideen der katholischen Soziallehre sowohl dem Sozialis­ mus als auch dem Liberalismus entgegensetzen konnten36. Diese neue poli­ tische Ausrichtung im Habsburgerreich war deswegen deutlich spürbar, weil sie sowohl von einigen etablierten, ehemals liberalen säkularen Akteuren, als auch von vielen neuen, religiös­ konservativen Meinungsmachern getragen wurde. Proteste gegen die vermeintlich jüdische Entweihung von Ehe und Bildung sowie gegen die Gefahr der barbarischen, antichristlichen Praktiken des Ritualmords  – die durch die Auflösung der traditionellen Trennung der Lebenswelten von Juden und Christen realer geworden sei  – gehörten zum Dauerthema katholischer Medien, die im letzten Drittel des 19.  Jahrhunderts auf die unterschiedlichen Zielgruppen der Arbeiter, Bauern, Dienstboten und des bürgerlichen Klientels zugeschnitten waren. Bewusst verschoben Teile des politischen Katholizismus die Sagbarkeitsregeln im Umgang mit Juden. Der Wiener Priester und Antisemit Josef Deckert erhob Antisemitismus in einer Schrift zur Christenpflicht und der einflussreiche galizische Jesuit Marian Morawski erklärte »Asemitismus«, also den vollständigen ökonomi­ schen Boykott und soziale Ächtung von Juden, zur christlichen Aufgabe37. Damit reagierten sie auf die im Zeitalter der Emanzipation zunehmende soziale Interaktion zwischen Christen und Juden, die den Erhalt christlicher Werte gefährde. Der Aufruf zum wirtschaftlichen Boykott konnte erhoben werden, weil seit gut zwei Jahrzehnten mit dem Ruf nach christlichen Läden, Genossenschaften und Kreditvereinen der Versuch unternommen wurde, die einst rein jüdischen Domänen zu erobern. Entscheidenden Anteil daran 36 Siehe auch Andreas Gottsmann, Rom und die nationalen Katholizismen in der Donaumonarchie. Römischer Universalismus, habsburgische Reichspolitik und nationale Identitäten 1878–1914, Wien 2010. 37 Josef Deckert, Darf ein Katholik Antisemit sein?, Wien 1892. Siehe auch Olaf Blaschke, Wie wird aus einem guten Katholik ein guter Judenfeind? Zwölf Ursachen des katholischen Antisemitismus auf dem Prüfstand, in: Ders. (Hg.), Katholischer Antisemitismus im 19.  Jahrhundert. Ursachen und Traditionen im internationalen Vergleich, Zürich 2000, S.  77–110.
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Glaubenskämpfe Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Titel
Glaubenskämpfe
Untertitel
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Herausgeber
Eveline Bouwers
Verlag
Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-666-10158-8
Abmessungen
15.9 x 23.7 cm
Seiten
362
Schlagwörter
19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
Kategorien
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