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Vor 1918
Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Seite - 178 -
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178 Tim Buchen Aus dieser kollektiven Erwartungshaltung heraus kam es am 25. Mai 1898 in Kalwarya tatsächlich zu Ausschreitungen, als hunderte von Bauern während des Festumzugs zu Ehren Mickiewiczs die Fensterscheiben der von Juden bewohnten Häuser einwarfen. Der nächste Tag begann friedlich, endete jedoch blutig, als eine Menge die Übergriffe am Abend zu wiederho­ len versuchte, dabei jedoch von der eigens personell verstärkten Gendarme­ rie abgehalten wurde. Als die Behörde daraufhin mit Steinen beschmissen wurde, schoss ein Gendarm in die Menge und traf einen Bauern tödlich. Die­ sen Widerspruch zur vermeintlichen staatlichen Erlaubnis von Übergriffen auf Juden erklärte ein Bernhardinermönch damit, dass die Juden die Gen­ darmen mit Geld und Wodka bestochen hätten, und der Postenführer selbst ein Jude sei. Bereits nachdem die antisemitische Agitation zum Ausbruch von Gewalt gegen Juden entscheidend beigetragen hatte, fanden sich also noch katholische Geistliche, welche die Mobilisierungsgerüchte aufrecht­ erhielten, selbst nachdem die Beamten des Kaisers mit Waffengewalt deut­ lich gemacht hatten, dass es keine Erlaubnis zum Schlagen der Juden gab. Zugleich fügte der Mönch damit der antijüdischen Verschwörungstheorie eine weitere Dimension hinzu. Die Nachrichten aus Kalwarya verbreiteten sich über das galizische Land. Die antisemitische katholische Zeitung Prawda schrieb: »Am Tag der Mickiewicz­ Feiern wurde christliches Blut vergossen, um Juden zu beschützen«45. In vielen Dörfern der Umgebung berichteten Zeugen von den Ausschreitungen. Das ungewisse Gerede von einer baldigen Abrechnung mit den Juden erfuhr dadurch eine konkrete Bestätigung, während das Blutver­ gießen nach einer weiteren Bestrafung verlangte. Bereits am 28.  Mai wurden jüdische Schenken in den Bezirken Myślenice und Podgórze demoliert und ausgeraubt; es waren keine Gendarme vor Ort gewesen, die das Treiben hät­ ten unterbinden können. Die ungestraften Übergriffe, die neben der sym­ bolischen Bestrafung der Juden kostenlosen Alkohol und erbeutete Lebens­ mittel in Aussicht stellten, motivierten in den folgenden Wochen mehrere Tausend Menschen in insgesamt fast 500 Orten, jüdische Läden und Schen­ ken, vereinzelt auch Wohnhäuser zu demolieren und auszurauben. Wie ein Lauffeuer folgten auf Übergriffe in einem Ort am nächsten Tag oder am Vorabend eines Sonn­ oder Feiertags Übergriffe in der Umgebung. Vielfach erkannten die Opfer die Täter als ihre Kunden wieder und konnten sie somit bei der Polizei anzeigen sowie vor Gericht belasten. Aus den Dutzenden aus Zeugenaussagen und Gerichtsprotokollen rekon­ struierbaren lokalen Gewaltausbrüchen ist nur ein Fall überliefert, in dem ein oder mehrere Anstifter ihre Mittäter nicht durch eine direkte Unterre­ dung zu einer Gewalttat überredeten, sondern mit einem Flugblatt schrift­ 45 Prawda, 5. Juni 1898.
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Glaubenskämpfe Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Titel
Glaubenskämpfe
Untertitel
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Herausgeber
Eveline Bouwers
Verlag
Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-666-10158-8
Abmessungen
15.9 x 23.7 cm
Seiten
362
Schlagwörter
19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
Kategorien
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