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Vor 1918
Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Seite - 182 -
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182 Tim Buchen Drohungen gegen und Verängstigungen von Juden war nicht nur Selbst­ zweck, die Verfügung über Tabak und Zigarren nicht allein eine Demonstra­ tion der Macht. Die Excendenten waren auch davon motiviert, sich fremdes Eigentum anzueignen. Bisweilen beteiligte sich daran die ganze Dorfgemein­ schaft. Schenken wurden eingekreist und mit Steinen beworfen, Kinder und alkoholisierte Männer taten sich aus der schreienden und singenden Menge an Zuschauern hervor. Waren die Scheiben eingeschlagen, drangen Männer, die im Alltag Autorität im Dorf genossen, mit Stöcken oder Beilen in die Schenken ein, zerschlugen Gläser und Möbel und brachten, nachdem sie sich selbst versorgt hatten, erbeutete Ware nach draußen54. Meist schafften von dort Frauen und Kinder die erbeuteten Vorräte nach Hause. In Lutcza diri­ gierte der Dorfpolizist mit seiner Trompete daraufhin die Menge zum nächs­ ten Ziel dieses karnevalesken Raubumzugs. In Nowy Sącz, wo es Ende Juni zu den verheerendsten Übergriffen und Plünderungen kam, reisten Menschen eigens mit Kutschen an, um die erwartete Beute abtransportieren zu können. In Dutzenden von Fällen nutzten Einzelne oder kleine Gruppen die Aus­ nahmesituation der Gewalt, um sich in einer Schenke kostenlos zu betrin­ ken. Oft genügte der Verweis auf bekannte Übergriffe in der Umgebung und die Möglichkeit der Wiederholung gerade an diesem Ort, um vom Wirt ein Glas zur Besänftigung eingeschenkt zu bekommen. Manchmal zogen die ungebetenen Gäste anschließend weiter, doch in einigen Fällen führte die Alkoholisierung zu Handgreiflichkeiten. Überhaupt waren Alkoholeinfluss und die Aussicht, Bier oder Wodka zu erbeuten, von großer Bedeutung für die Exzesse. Da die meisten Juden Alkohol nur im Kontext religiöser Feste konsumierten und dabei selten von Christen gesehen wurden, markierten die unterschiedlichen Trinkpraktiken eine weitere Differenz, die religiös begründet war. Zudem herrschte unter Bauern der Eindruck, Juden würden den Alkohol nur horten, hätten selbst keine Verwendung dafür und damit auch kein Recht darauf. Die Ausschreitungen und die anschließenden Recht­ fertigungen und Rationalisierung der Gewalt durch die Täter in Gerichtsver­ fahren zeigen, dass obwohl die Marktwirtschaft seit mehreren Jahrzehnten immer weitere Bereiche des Alltagslebens durchzog, die moralischen Vor­ stellungen von Wirtschaft, Besitz und legitimem Anrecht aus früherer Zeit wirkmächtig blieben. Die Vorstellung, wonach aller Reichtum aus der Erde stamme und ihr durch harte Arbeit abgerungen werden müsse, war physiokratisches Glau­ bensbekenntnis im 18.  Jahrhundert gewesen. Die Zeitungen Stojałowskis 54 Ähnliche Praktiken traten auch in anderen geographischen Gegenden und histori­ schen Kontexten in Erscheinung, wie z.B. in den englischen Teuerungsprotesten des 18.  Jahrhunderts. Siehe auch Edward P. Thompson, The Moral Economy of the Eng­ lish Crowd in the Eighteenth Century, in: Past & Present 50 (1971), S.  76–136.
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Glaubenskämpfe Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Titel
Glaubenskämpfe
Untertitel
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Herausgeber
Eveline Bouwers
Verlag
Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
Datum
2019
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 4.0
ISBN
978-3-666-10158-8
Abmessungen
15.9 x 23.7 cm
Seiten
362
Schlagwörter
19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
Kategorien
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