Seite - 191 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Bild der Seite - 191 -
Text der Seite - 191 -
191Religion,
Kindheit und Gewalt im kolonialen Neuguinea um 1900
Lebenssituation auf Tumleo um 1900 über Gewalt dachten und diese als Teil
ihrer religiös begründeten Mission als Erziehungsmittel schätzten, anwen-
deten, legitimierten oder ablehnten. Damit bleibt der Beitrag insofern ein-
seitig, als dass er das indigene Verständnis von Gewalt sowie Deutungen der
geschilderten Ereignisse nur am Rande miteinbezieht und den Fokus ent-
sprechend dem Thema dieses Bandes auf das Verhältnis der deutschen Missi-
onsangehörigen zu körperlicher Züchtigung richtet. Durch eine Darstellung
und Analyse der unterschiedlichen Positionen soll zum einen gezeigt werden,
dass die Debatte auf Tumleo im Kontext der engen historischen Verbindung
zwischen Gewalt, Christentum und Kindheit zu betrachten ist. Zum anderen
macht die Fallstudie deutlich, dass das Verhältnis der untersuchten Missio-
nare und Missionsschwestern zu Gewalt kein einfaches war, und der Einsatz
durchaus zu Kritik führte und intern wie extern legitimiert werden musste.
Ich gehe im Folgenden in vier Schritten vor. Ich beginne mit einer kurzen
Darstellung der religiösen und sozialen Umgebung der Mission auf Tum-
leo, welche unerlässlich ist, um sowohl die Gewalthandlungen als auch die
Debatten darüber in ihrem spezifischen historischen Kontext zu verstehen.
Der zweite Abschnitt thematisiert die gewalttätigen Begegnungen zwischen
den Missionaren und Missionsschwestern und indigenen Kindern in den
Missionsschulen. Im dritten Abschnitt analysiere ich das missionarische
Sprechen über Gewalt gegen Kinder am Beispiel der Debatten aus Tum-
leo aus den Jahren 1899 bis 1902. Ich argumentiere, dass die Anwendung
von Gewalt im Besonderen als Folge der stets hierarchischen Deutung von
religiöser und kultureller Differenz seitens der Missionsschwestern und
Missionare sowie fehlender Toleranz gegenüber indigenen Glaubens- und
Moralvorstellungen zu verstehen ist. Schwester Valeria Dietzen und andere
Missionsangehörige setzten ihre katholischen Glaubens- und Moralvorstel-
lungen und -lehren absolut und versuchten, ihre Vorstellung von »Zucht und
Ordnung« in Neuguinea zu etablieren. Dabei agierten sie entsprechend einer
Logik, nach der sie religiöse Verantwortung für die indigenen Kinder tru-
gen und letztere mit allen Mitteln von
– im christlichen Verständnis
– sünd-
haftem Verhalten abhalten mussten. Eine gewisse rechtliche Legitimation
für Gewalt erhielten sie dabei auch durch die Kolonialregierung, welche die
Prügelstrafe zwar nicht grundsätzlich legalisierte, jedoch körperliche Züch-
tigung als ein Instrument der Disziplinierung für europäische Arbeitgeber
(und damit auch für die Missionen) gegenüber indigenen Arbeitern und
Arbeiterinnen sowie Angestellten akzeptierte und mit der Übernahme der
Verwaltung der Kolonie durch das Kaiserreich 1899 auch kodifizierte9. Der
9 Vgl. Hermann Joseph Hiery, Das Deutsche Reich in der Südsee (1900–1921). Eine
Annäherung an die Erfahrungen verschiedener Kulturen, Göttingen u.a. 1995,
S. 132–137; Peter Sack, Das deutsche Rechtswesen in Melanesien, in: Hermann
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918