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198 Katharina Stornig
wurde im Jahr 1901 das »Gefügig machen« der Kinder jedenfalls genauso
als Lern- und Erziehungsziel der Missionsschule genannt wie das Erlernen
»kleiner Gebetchen« oder die Vermittlung erster Deutsch kenntnisse37.
Schläge bildeten in der christlichen Erziehung um die Jahrhundertwende,
welche über eine lange Tradition der Legitimation von körperlicher Züch-
tigung verfügte, keine Ausnahme. Gewisse Gewalthandlungen gegenüber
Kindern und Jugendlichen waren vielmehr in die Erziehungsideale und
-praktiken vieler Katholiken und Katholikinnen eingeschrieben. Zudem
wurden Schläge auch in den meisten säkularen Schulen zumindest gedul-
det. Wie die Historikerin Heather Ellis kürzlich betonte, hatten im Europa
des 19.
Jahrhunderts mit Frankreich, Belgien und den Niederlanden nur drei
Länder ernsthafte Anstrengungen unternommen, körperliche Züchtigung
in den Schulen zurückzudrängen38. Im Kaiserreich waren sowohl körper-
liche Züchtigung als auch der feste Glaube an ihren erzieherischen Nutzen
in christlichen und öffentlichen Schulen nach wie vor verbreitet39. Dasselbe
galt für viele katholische Missionsschulen in Kaiser Wilhelmsland, auch
jenseits von Tumleo. Wie die Historikerin Livia Loosen zeigte, setzten auch
die in Neupommern und auf den Marshall-Inseln aktiven Hiltruper »Missi-
onsschwestern vom Heiligsten Herzen Jesu« körperliche Züchtigung ein und
sparten dabei offenbar auch die kleinsten Kinder nicht aus40.
Der kirchliche Leiter der SVD-Mission, Präfekt Eberhard Limbrock, ver-
teidigte die körperliche Züchtigung von Jungen und Mädchen nicht nur, son-
dern forderte durch den Verweis auf entsprechende Bibelstellen sogar expli-
zit dazu auf. Auch Mathias Erdweg, Missionspriester und Verfasser einer
Ethnographie über Tumleo, ging in einem 1902 veröffentlichten Aufsatz
ganz selbstverständlich von der Notwendigkeit aus, das Kind gegebenenfalls
körperlich zu züchtigen41. Auf die grundsätzliche Akzeptanz von Gewalt als
Mittel der Disziplinierung verweist auch ein Brief von Schwester Fridolina
Vökt, der ersten Vorsteherin der Missionsschwestern auf Tumleo, in dem sie
37 Sr. Fridolina Vökt, 6. März 1901, in: AG SSpS PNG 601, Korrespondenz 1899–1917.
38 Vgl. Heather Ellis, Corporal Punishment in the English Public School in the Nine-
teenth Century, in: Laurence Brockliss / Heather Montgomery (Hg.), Childhood
and Violence in the Western Tradition, Oxford u.a. 2010, S. 141–151, hier S. 146f.
39 Siehe Adolf Emge, Das Züchtigungsrecht des Lehrers, Frankfurt a.M. 1912.
40 Loosen zitiert eine Missionsschwester, die über ein achtzehnmonatiges Kind berich-
tet, welches dank seines harten »Köpfchens« »oft genug büßen muß« und manchmal
bereits »bis Mittag dreimal den Stock geschmeckt hat«. Insgesamt fand sie unter den
Missionsschwestern vielfach die Überzeugung, »dass es unmöglich sei, die Kinder
ohne die Benutzung des Rohrstocks zu erziehen«; Livia Loosen, Deutsche Frauen
in den Südsee-Kolonien des Kaiserreiches. Alltag und Beziehungen zur indigenen
Bevölkerung, 1884–1919, Bielefeld 2014, S. 502.
41 Siehe Mathias Josef Erdweg, Die Bewohner der Insel Tumleo, Berlinhafen, Deutsch-
Neu-Guinea, in: Mitteilungen der Anthropologischen Gesellschaft in Wien 32
(1902),
S. 274–399, hier S. 283.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918