Seite - 199 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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199Religion,
Kindheit und Gewalt im kolonialen Neuguinea um 1900
berichtete, dass Schwester Valeria in der Schule »wohl hin und wieder mal
dem einen mal dem anderen das Kleidchen« ausklopfe42. Gleichzeitig geht
aus dem Brief jedoch hervor, dass Nachrichten über »Schw. Valerias Prüge-
lei« bis zu den Generaloberen nach Europa gedrungen waren, was wiederum
darauf verweist, dass hier Normen überschritten oder zumindest Handlun-
gen kritisiert worden waren: Obwohl die Vorsteherin diese Nachrichten über
Prügel in der Schule als »Scherz« deklarierte, Schwester Valerias Vorgehen als
legitim erklärte und betonte, dass die Schläge »gut und notwendig« seien und
zudem »nicht zu oft und nicht zu viel« passierten, weisen die entsprechen-
den Passagen ihres Briefes doch einen apologetischen Ton auf. So ergänzte
Schwester Fridolina, dass man insgesamt mit den Kindern »sehr gut zufrie-
den sein« könne, denn: »Muss man mal einem eine Ohrfeige geben, so geht’ s
bei allen wieder viel besser«43. Insgesamt betrachtet, legt der Brief nahe, dass
körperliche Züchtigung zwar einerseits als disziplinierendes und erzieheri-
sches Mittel grundsätzlich akzeptiert war, andererseits jedoch in Quantität
und Qualität durchaus zum Gegenstand von Kritik werden konnte, wie im
Fall von Schwester Valeria44.
Ein wiederholt auftauchender Aspekt in den untersuchten Briefen sind
Berichte über die gewalttätige Bestrafung von Internatsschülern und -schü-
lerinnen, welche die Missionsstation unerlaubt verlassen hatten und von den
Missionaren zurückgeholt wurden. So berichtete z.B. eine Missionsschwester
über ein ca. sechsjähriges Mädchen, welches dann und wann davonliefe, und
nach ihrer Wiedereinlieferung »den Stock zu schmecken« bekommen hätte45.
Die entlaufenen Kinder, so auch die Klage von Schwester Ursula Sensen im
Sommer 1900, würden bei unerlaubten Entfernen »wiedergeholt und durch-
geprügelt«, was in manchem Fall zwar als Mittel der Disziplinierung helfe,
jedoch gleichzeitig die Beziehung zu den Erwachsenen belaste, »denn die
Eltern sehen es nicht gerne, wenn ihre Kinder geschlagen werden«46. Die
42 Sr. Fridolina Vökt, 15. Januar 1901, in: AG SSpS PNG 6201, Korrespondenz 1899–
1910.
43 Ebd.
44 Hierbei muss angemerkt werden, dass es auf Basis der vorhandenen Quellen nicht
möglich ist, den Fall ganz zu rekonstruieren. Das liegt daran, dass die Korrespon-
denz nicht mehr vollständig vorhanden ist und zum Teil auch Namen oder Passagen
entfernt wurden. Es geht aber aus der Summe der Klagen und Andeutungen klar
hervor, dass Gewalthandlungen im Zentrum der Streitereien unter den Missions-
schwestern auf Tumleo standen.
45 Sr. Evangelista Ihler, 31. August 1902, in: AG SSpS PNG 601, Korrespondenz
1899–1917.
46 Sr. Ursula Sensen, 22. Juni 1900, in: AG SSpS PNG 6201, Korrespondenz 1899–1910.
Ähnliches berichtete auch Livia Loosen über die Marshallinseln, wo eine Missions-
schwester schrieb, dass man die Kinder gar nicht »schelten und strafen dürfe«, denn
»sonst würden sie einfach nicht mehr kommen, man muss sie nur in Liebe zu gewin-
nen suchen«; Loosen, Deutsche Frauen, S. 503.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918