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200 Katharina Stornig
zuletzt genannte Beobachtung entspricht auch der Darstellung von Missi-
onar Mathias Erdweg, der, wie weiter unten ausgeführt, in einer Studie von
1902 über die Zurückhaltung der Eltern auf Tumleo berichtete, ihre Kinder
zu schlagen47. Anders als Erdweg, der diese Zurückhaltung kritisierte, nahm
Schwester Ursula dieselbe in ihrem Brief zum Anlass, um einen alternati-
ven Weg im Vorgehen der Missionare und Missionsschwestern vorzuschla-
gen: »Ich glaube wir würden mehr wirken, wenn wir den Leuten freundli-
cher entgegen kämen und ihre Herzen durch Liebe zu gewinnen suchten«,
schrieb sie und kritisierte damit implizit die Handlungen ihrer Kollegen und
Kolleginnen48. Zur Unterstreichung der Dringlichkeit ihres Anliegens ver-
wies Schwester Ursula darüber hinaus auf die Ereignisse auf der Missions-
station im benachbarten Leming, wo die Leute – aus nicht näher erklärten
Umständen – gar nichts mehr mit der Mission zu tun haben wollten und
nicht einmal mehr die getauften Knaben in die Schule und Kirche kämen49.
Während der Brief an der Stelle keine expliziten Angaben zur Genese der
Probleme in Leming enthält, legt das Narrativ insgesamt doch nahe, dass es
ebenfalls Gewalthandlungen waren, welche die Beziehungen der Mission mit
der umliegenden Bevölkerung belastet hatten.
Insgesamt zeigen die Quellen aus den SVD-Missionen auf Tumleo und in
Kaiser Wilhelmsland, dass Zwang und Gewalt durchaus feste Pfeiler des frü-
hen katholischen Internatsschulwesens waren. Die katholische Mission auf
Tumleo strafte Schüler und Schülerinnen zudem nicht nur für nicht geneh-
migtes Entfernen, sondern versuchte auch, ihren Verbleib für die vollstän-
dige Ausbildungszeit zu erzwingen. Dazu muss zunächst angemerkt werden,
dass weder in Kaiser Wilhelmsland noch im Rest Deutsch-Neuguineas eine
gesetzliche Schulpflicht existierte und der Einfluss des Kolonialstaates auf
die Gestaltung von Schule und Unterricht insgesamt marginal war50. Folglich
entwickelte die Mission ein eigenes und in wesentlichen Aspekten aggressi-
ves Vorgehen, um einerseits interne Schulkinder zu rekrutieren und anderer-
seits zu verhindern, dass gerade diese
– auf welche man so große Hoffnungen
setzte und welche man als Schlüssel zum angestrebten religiösen und kultu-
rellen Wandel betrachtete
– die Missionsinternate vor Ende der Ausbildungs-
zeit verließen. Ähnliches geschah auch in anderen katholischen Missionen
und in anderen Teilen der Kolonie. Insgesamt löste das aggressive Vorgehen
der Missionen sogar eine gewisse Besorgnis aufseiten der Kolonialregierung
aus, welche vor allem den Eindruck von Sklaverei vermeiden wollte und folg-
lich von den Missionen verlangte, mit den Eltern oder nahen Verwandten
47 Siehe Erdweg, Die Bewohner der Insel Tumleo, S. 281.
48 Sr. Ursula Sensen, 22. Juni 1900, in: AG SSpS PNG 6201, Korrespondenz 1899–1910.
49 Ebd.
50 Vgl. Hiery, Das Deutsche Reich in der Südsee, S. 155–160; ders., Schule und Ausbil-
dung, in: Ders. (Hg.), Die deutsche Südsee, S. 198–238, hier S. 202.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918