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206 Katharina Stornig
»böse Gewohnheit« hätte, »gegen das 6. Gebot« (Du sollst nicht Ehe brechen)
zu verstoßen72. Schwester Valeria hatte nach eigener Aussage versucht, dieses
»Kind« in einer »Unterredung
[…] unter 4 Augen« zu bessern, was wiederum
die Kritik einer Mitschwester hervorgerufen hätte73. Während es im zitierten
Brief völlig unklar bleibt, wie und warum dieses nicht näher beschriebene
»Kind« Ehe brach – was vermutlich daran lag, dass die Missionsschwestern
generell dazu tendierten, das, was sie als sexuelle Handlungen verstanden,
zu insinuieren und nicht zu nennen oder zu beschreiben –, geriet hier offen-
bar vor allem die darauffolgende »Unterredung« in den Fokus der Kritik.
In Anbetracht der anderen Briefe sowie der Reaktion der Mitschwester, ist
es durchaus denkbar, dass »eine Unterredung unter 4 Augen« hier als Chif-
fre für eine körperliche Bestrafung diente. In jedem Fall scheint Schwester
Valeria zunehmend an ihrer Aufgabe als christliche Erzieherin und selbst-
ernannte Verantwortliche für das Seelenheil der von ihr unterrichteten
Kinder verzweifelt zu sein, denn sie schrieb weiter: »Ich habe die Kinder
der lieben Mutter Gottes übergeben, damit sie doch alle vor dem Verderben
bewahren möge«74. Die hier ausgedrückte Angst vor dem Verderben muss
vor dem Hintergrund der Glaubensvorstellungen und -praktiken der Mis-
sionsschwestern durchaus ernst genommen werden. Schwester Valeria war
wie viele ihrer Kollegen und Kolleginnen zunehmend davon überzeugt, dass
es für die von ihnen unterrichteten Kinder überaus schwer sei, in der »heid-
nischen Umgebung« Tumleos christlich zu leben. Gleichzeitig fürchtete sie
allerdings nicht nur um das »Verderben« der Kinder, sondern sah sich als
katholische Erzieherin auch in der Verantwortung, dieses aktiv zu verhin-
dern. So plädierte sie für eine strenge Beaufsichtigung der Kinder rund um
die Uhr, selbst wenn dies die Einhaltung der strengen Klosterregel und das
gemeinsame Gebet aller Missionsschwestern auf Tumleo verhindere, denn
»welche Verantwortung wird auf uns lasten wenn wir Schuld sind daß die
Kinder wegen Mangel an Aufsicht Bößes thun«75.
Trotz der offenbar sehr strengen Beaufsichtigung der Kinder und Jugend-
lichen berichteten die Briefe gelegentlich über sexuelle Handlungen auf der
Missionsstation, welche Schwester Valeria nicht nur als Beweis für die »tief-
stehende Sittlichkeit« der indigenen Bevölkerung anführte und Schritt für
Schritt in ein zunehmend negatives Bild der indigenen Kinder integrierte,
sondern auch als Legitimation für Körperstrafen anführte76. Im August 1902
berichtete sie, dass die Missionare entdeckt hätten, dass einige Knaben und
72 Sr. Valeria Dietzen, 4. Januar 1900, in: AG SSpS PNG 6201, Korrespondenz 1899–
1910.
73 Ebd.
74 Ebd.
75 Sr. Valeria Dietzen, Juli 1900, in: AG SSpS PNG 6201, Korrespondenz 1899–1910.
76 »In letzter Zeit haben wir erfahren, wie sehr diese armen Kanaken zu bedauern sind,
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918