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Bahnfrevel von Trillick
Gefolgsleute« inszeniert hätten, um aus einem höchstwahrscheinlich bloß
tragischen Unfall Kapital zu schlagen. The Nation, Irlands führende nati-
onalistische Zeitung, richtete den Blick auf die Art und Weise, wie protes-
tantische Demagogen in Dublin den Vorfall nutzten, um das irische Volk
zu spalten12. Auch weniger schrille Stimmen traten hinzu. Als im Juli 1855
die sieben Verdächtigen freigesprochen wurden, hatte sich ein neuer Konsens
herausgebildet, in dem es vor allem um die fanatischen Oranier ging, die,
»berauscht durch starke Getränke und noch stärkere Reden«, ein Eisenbahn-
unglück in eine papistische Verschwörung umgemünzt hätten13.
Tatsächlich rückten die ultraprotestantischen Kräfte in den sich wandeln-
den Reaktionen auf den Bahnfrevel von Trillick zudem ins Zentrum. Das
Oraniertum diente als Feindbild, an dem ein breites Spektrum von Kom-
mentatoren und Publizisten ihr Profil schärfen konnte – und dies vor dem
Hintergrund einer irischen Gesellschaft, die zwar die Hungerjahre von 1845
bis 1851 überwunden hatte, aber nunmehr durch sich vertiefende konfessi-
onelle Gräben gezeichnet war. Indem sie den extremistischen Oraniern eine
Mitschuld an den Gräuel und dessen Ausschlachtung gaben, positionierten
sie sich selbst als zivil, modern und rational gesinnte Staatsbürger. Diese
Strategie war insofern erfolgreich, als die Oranier und der Ultraprotestantis-
mus bis in die späten 1860er Jahre in der britischen und irischen Politik mar-
ginalisiert blieben. Zugleich aber erwies sich an den Reaktionen politischer
und religiöser Meinungsführer, wie mächtig und verlockend konfessionelle
Deutungen der Ereignisse in Ulster blieben und welche Mühe man in Poli-
tik und Publizistik hatte, Erklärungen der Vorgänge zu liefern, die nicht auf
die Annahme einer katholisch-protestantischen Leitdifferenz rekurrierten.
Diese Erkenntnis ist besonders wichtig. Viele Historiker gehen davon aus,
dass die gemeinschaftsbasierten Deutungen der politischen und religiösen
Spaltungen in Ulster sich im späten 19. Jahrhundert herauskristallisierten14.
Das Beispiel von Trillick zeigt, wie mächtig konfessionelle Orientierungs-
muster schon Mitte der 1850er Jahre waren.
12 The Nation, 23. September 1854.
13 The Ulsterman, 20. September 1854; The Freeman’ s Journal, 21. Juli 1855; The
Nation, 23. September und 11. Oktober 1854.
14 Ian Budge / Cornelius O’ Leary, Belfast: Approach to Crisis, 1613–1970, New York
1973; Brian M. Walker, Ulster Politics: The Formative Years, 1868–86, Belfast 1989.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918