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275Französisch-katholische
Reaktionen auf die Damaskus-Affäre
katholischen Polemiker, der für die aggressive Rhetorik bekannt war, mit der
er sich in politischen Auseinandersetzungen die katholische Sache zu eigen
machte. Anders als La Quotidienne unterstützte L’ Univers die Legitimität der
orléanistischen Thronfolge in Gestalt des Königs Louis-Philippe und fand
mit dieser Haltung beträchtliche Resonanz beim Bürgertum. Der zutiefst
konservative Ami de la Religion et du Roi wurde von einem Adeligen, dem
ultramontanen Schriftsteller und Publizisten Mathieu Henrion, herausgege-
ben und galt als Sprachrohr »katholischer Propaganda«14.
So sehr sich diese Zeitungen in ihrer politischen Ausrichtung und selbst
der Auffassung des Katholizismus unterscheiden mochten, so einig waren
sie sich doch in der Annahme, die Damaszener Juden hätten sich des Ritual-
mords schuldig gemacht. Besonderes Interesse an der Affäre legte L’ Univers
an den Tag, das ausführlich über jede Einzelheit berichtete, dabei jedoch die
scheinbaren Tatsachen fraglos akzeptierte und sogar selbst nach Belegen für
die vermeintliche Schuld der Juden suchte. L’ Ami de la Religion et du Roi
behauptete, der Affäre unvoreingenommen gegenüberzustehen, zugleich
aber »aufrichtig nach der Wahrheit zu suchen«15. Tatsächlich hielten sich die
Zeitungen alle ihre Unparteilichkeit zugute, was allerdings je etwas anderes
bedeutete. Seine Neutralität suchte L’ Ami de la Religion et du Roi hervorzu-
heben, indem er den Brief eines jüdischen Lesers abdruckte, der sich über
die Wiedergabe von Auszügen aus dem Talmud, welche den jüdischen Hass
auf Christen beweisen sollte, in einer früheren Ausgabe beschwerte16. Die
Zeitung war jedoch von der jüdischen Schuld fest überzeugt und wollte keine
naheliegendere Erklärung für das Verschwinden Pater Thomas’ erkennen
als den typischen Christenhass der Juden17. Um diese Vorstellung zu unter-
mauern, bediente sich die Zeitung einer emotional aufgeladenen Sprache.
So wurden etwa die Juden beschuldigt, »heimtückisch den ehrwürdigen, als
Pater Thomas bekannten Mönch getötet« zu haben18. Unter »Unparteilich-
keit« verstand hingegen die Redaktion des Univers, sich als einzige Zeitung
zu weigern, allein von Juden zur Verfügung gestellte Dokumente zu veröf-
fentlichen. Dies hieß praktisch, dass sie nur Material publizierte, das von der
Schuld der Juden von Damaskus ausging
– ganz ähnlich wie L’ Ami de la Reli-
gion et du Roi 19. Schließlich reklamierte auch La Quotidienne für sich eine
überparteiliche Haltung und erklärte, »in dieser Angelegenheit, wie in allen
Angelegenheiten, die rätselhafter Art sind, ist die erste Pflicht der Presse,
14 Ebd., S. 82.
15 L’ Ami de la Religion et du Roi, 19. Mai 1840.
16 Ebd., 25. August 1840.
17 Ebd., 11. Juni 1840.
18 Ebd., 1. September 1840.
19 L’ Univers, 21. Juli 1840.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918