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280 Julie Kalman
Konsuls ebenfalls in Schutz. Thiers, der im Inneren seine Unterstützer mobi-
lisieren und nach außen inmitten der Spannungen zwischen den europäi-
schen Mächten im Nahen Osten mit einer großen Geste auftrumpfen wollte,
setzte auf die nationalistische Karte, indem er Ratti-Menton als Diener des
Vaterlandes und Vertreter französischer Interessen in der Region entschie-
den in Schutz nahm41.
Was die katholische Presse angeht, scheint das Kalkül Thiers’ klar auf-
gegangen zu sein. La Quotidienne gratulierte ihm zu seiner Versicherung,
Ratti-Menton werde »gegen alle Interessen und Leidenschaften, ob politisch
oder nicht, die sich um ihn herum regen«, energisch in Schutz genommen42.
Ferner verkündete der Präsident: »Bis zum Beweis des Gegenteils ist die Sache
dieses Vertreters die Sache des Rechts; die Sache Frankreichs«. Es war dies das
katholische Frankreich, nach dem La Quotidienne sich so sehr sehnte. Zusam-
men mit L’ Univers behauptete die Zeitung, es sei dem Fleiß Ratti-Mentons zu
verdanken, dass die Juden zur Verantwortung gezogen wurden43. Der Kon-
sul wurde als unbestechlicher Vertreter einer unbestechlichen katholischen
Nation, die sich nunmehr angegriffen sah, dargestellt und wurde geradezu
in den Rang eines Märtyrers erhoben. Im Juni berichtete La Quotidienne,
der Fanatismus, mit dem die Juden Ratti-Menton begegneten, sei geeignet,
sein Leben zu gefährden. Zumal die anderen europäischen Konsuln »nahezu
alle jüdisch« seien, gab die Zeitung der Hoffnung Ausdruck, die französische
Regierung werde sich gegen jegliche Machenschaft zulasten ihres Lands-
manns tatkräftig und entschieden wehren44. Thiers enttäuschte diese Hoff-
nung nicht. Während Frankreich in seiner Unterstützung Muhammad Alis
alleinstand, kam dem innenpolitisch angeschlagenen Thiers ein Feind im
Inneren in Gestalt der Juden durchaus gelegen. Abermals waren auch die
Zeitungen dieser Ansicht. La Quotidienne behauptete, die Juden hätten ver-
sucht, die Affäre zu »unterdrücken«, indem sie Ratti-Menton Geld boten45.
L’ Univers fügte hinzu: »In den Behörden von Damaskus, dem französischen
Konsul und seinem Sekretär, fanden [die Juden] ehrliche Männer vor, die
sich mit keinem Angebot bestechen lassen«46. Ausnahmsweise waren die
Ultramontanen in der Redaktion des L’ Univers einer Meinung mit Präsident
41 Vgl. John Allison, Thiers and the French Monarchy, Boston
u.a. 1968 [1926], S.
278–
287; zur Nahostpolitik Thiers’, allerdings ohne Erwähnung der Damaskus-Affäre,
siehe auch John Bury / Robert Tombs, Thiers 1797–1877. A Political Life, London
1986.
42 La Quotidienne, 6. Juni 1840.
43 Ebd., 7. April 1840; L’ Univers, 1. Juli 1840.
44 La Quotidienne, 12. Juni 1840.
45 Ebd., 7. Juni 1840.
46 L’ Univers, 1. Juli 1840.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918