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282 Julie Kalman
wurde Adolphe Crémieux dargestellt. War jener ein »opulentes Individuum«,
so sekundierte ihm mit Crémieux ein »schlauer« Anwalt, der angeblich zuge-
geben habe, mit »Energie und Tatendrang« sich in den redaktionellen Teil
französischer und englischer Zeitungen eingekauft zu haben51. Mit Blick auf
jüdische Bemühungen, die Beschuldigten freisprechen zu lassen, bemerkte
L’ Ami du Roi et du Peuple, dass »die jüdische Seite ihre gesamte schwere
Artillerie aufgefahren« habe, was als Anspielung auf den gewaltigen Reich-
tum Rothschilds zu verstehen ist52. Einen Schritt weiter noch ging La Quoti-
dienne, wo der Bankier gegen die Nation in Stellung gebracht wurde. Die Zei-
tung unterstellte, Rothschild habe viel Geld bezahlt – was den Juden »gegen
alle Gewohnheit« gehe –, um Gegner einzuschüchtern und die Demission
Ratti-Mentons zu bewirken. Mit solchem Treiben habe sich nicht nur Roth-
schild diskreditiert, sondern »mit ihm auch seine Glaubensbrüder in Frank-
reich«. Die öffentliche Meinung, warnte La Quotidienne, sei nicht käuflich53.
In der Damaskus-Affäre erfuhr der uralte Vorwurf des Ritualmords eine
Wiederbelebung. Der katholischen Presse war damit ein Mittel an die Hand
gegeben, die Juden von Damaskus zu kritisieren. In ihrer Berichterstattung
über das Verschwinden und den mutmaßlichen Mord an Pater Thomas spiel-
ten hergebrachte antijüdische Motive eine hervorgehobene Rolle. Allerdings
ließen sich Juden in einem fernen und kaum bekannten Land bequem des
Ritualmords beschuldigen. Ein anderes waren die Auswirkungen jüdischen
Verhaltens in Frankreich selbst, die weitaus unmittelbarer ausfielen. Dies
gab der Damaskus-Affäre eine Dimension, die sie zu mehr machte als zu
einer weiteren Episode der Machtspiele im Nahen Osten oder in der langen
Geschichte jüdisch-katholischer Beziehungen. Den in diesem Beitrag behan-
delten Zeitungen bot die Affäre auch einen Anlass, auf eine überaus wichtige
Frage zurückzukommen: Welcher Platz kam den Juden
– und der römischen
Kirche – im nachrevolutionären Frankreich zu?
Gegen Mitte des Jahres 1840 drohten die Spannungen anlässlich des Vor-
gehens Muhammad Alis im Nahen Osten zu eskalieren; am 15. Juli unter-
zeichneten Großbritannien, Russland, Österreich und Preußen den Londoner
Vertrag, in dem sie sich zu einem militärischen Eingreifen in den türkisch-
ägyptischen Konflikt bereiterklärten. Zwar verdrängte der drohende Krieg
die Damaskus-Affäre schließlich aus den Zeitungen, doch sowohl L’ Univers
als auch L’ Ami du Peuple et du Roi setzten ihre Leser über die letztendliche
Entlassung der beschuldigten Juden aus der Haft in Kenntnis. Tatsächlich
51 Pierre Nicolas Hamont, L’ Egypte sous Méhémet-Ali, Bd.
2, Paris 1843, S.
369; L’ Ami
de la Religion et du Roi, 12. November 1840.
52 L’ Ami de la Religion et du Roi, 12. November 1840.
53 La Quotidienne, 7. Juni 1840. Zu James de Rothschild und Judenstereotypen im
Frankreich des 19. Jahrhunderts siehe Julie Kalman, Rethinking Antisemitism in
Nineteenth-Century France, New York 2010, Kap. 5.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918