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290 Mary Vincent
von Religion zu politischen Zwecken liegt dem Begriff des »Kulturkampfes«
zugrunde und bildet ein Leitthema der spanischen Geschichtsschreibung, in
der zumeist ein katholischer Bevölkerungsteil dem republikanischen entge-
gengestellt wird5. Schon lange freilich wurde Feindschaft in religiöse Begriffe
gefasst. Unter Joseph Bonaparte etwa ließen die Spanier sich mit dem Aufruf
zur Verteidigung der Religion zum Widerstand gegen einen bilderstürmeri-
schen Eindringling mobilisieren, wenngleich die Trennlinie zwischen Libe-
ralen und Katholiken im Bürgerkrieg der Jahre 1833–1840 wieder aufklaffte.
Der Kampf des legitimistischen Prätendenten Don Carlos in diesem ersten
Carlistenkrieg stützte die Ineinssetzung von Reaktion und Klerus. Geschich-
ten von Bomben bastelnden Mönchen gaben der antiklerikalen Stimmung
Nahrung; im Juli 1834 wurden 78 Ordensmänner in Madrid massakriert und
ihre Konvikte überfallen6.
Erst ein
Jahrhundert später sollte Spanien erneut solche Massaker erleben.
Während des Bürgerkriegs (1936–1939) kam es dann aber zu einem Ausbruch
von Gewalt, der jedes bisher erlebte Maß überstieg. Nun ließ man die Kirche
insgesamt für die Sünden der alten Ordnung büßen. Geistliche und Ordens-
leute wurden zu Sündenböcken gemacht, und zwar genau entsprechend
der Definition, die René Girard später aufstellte7. Der Mord an Priestern
war nicht die einzige Form der gegen die Kirche gerichteten Gewalt. Häu-
figer noch waren Bilderschändung, Brandstiftung und andere Angriffe auf
kirchliches Eigentum, wie sie parallel zu den Massakern in den 1830er und
1930er Jahren geschahen und für die »Tragische Woche« von 1909 in beson-
derem Maße charakteristisch waren. Körperliche Gewalt und Sachbeschä-
digung sind von Maßnahmen zur Säkularisation, wie sie vom Gesetzgeber
5 José Álvarez Junco, Mater Dolorosa. La idea de España en el s. XIX, Madrid 2003;
Manuel Suárez Cortina, Entre cirios y garrotes. Política y religión en la España
contemporánea, 1808–1936, Santander u.a. 2014; Gregorio Alonso, La nación en
capilla. Ciudadanía y cuestión religiosa en España, 1793–1874, Granada 2014; Julio
de la Cueva Merino, Clericales y anticlericales: el conflicto entre confesionalidad
y secularización en Cantabria, 1875–1923, Santander 1994; Joseba Louzao Villar,
Soldados de la fe o amantes del progreso. Catolicismo y modernidad en Vizcaya,
1890–1923, Santander 2011.
6 Vgl. Francisco Javier Ramón Soláns, Milagros, visiones apocalípticas y profecías.
Una lectura sobrenatural de la Guerra de la Independencia, in: Ayer 96 (2014), H. 4,
S. 83f.; Emilio La Parra López, Los inicios del anticlericalismo español contem-
poráneo, 1750–1833, in: Ders. / Manuel Suárez Cortina (Hg.), El anticlericalismo
español contemporáneo, Madrid 1998, S. 17–68, hier S. 36–38; Antonio Moliner
Prada, Anticlericalismo y revolución liberal, 1833–74, in: La Parra López / Suá-
rez Cortina (Hg.), El anticlericalismo español contemporáneo, S. 69–126, hier
S. 104–121.
7 Vgl. Mary Vincent, »The Keys of the Kingdom«. Religious Violence in the Spanish
Civil War, in: Chris Ealham / Michael Richards (Hg.), The Splintering of Spain.
Cultural History and the Spanish Civil War, 1936–9, Cambridge 2005, S.
68–89, hier
S. 71f.; siehe auch René Girard, The Scapegoat, Baltimore 1989.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918