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292 Mary Vincent
Abdankung Isabellas II. – einer wenig beliebten Königin, die als kirchen-
nah galt – folgte eine Welle von Säkularisierungsbestrebungen, die sowohl
von der Bevölkerung als auch vom Parlament ausgingen10. In Tarragona
wurde ein Priester des Claretinerordens getötet, wenngleich es insgesamt
nur zu wenigen Übergriffen gegen den Klerus kam. Gewalt gegen Sachen,
einschließlich der Bilderschändung, war weitaus häufiger, jedoch stets nur
lokaler Art. An vielen Orten, etwa in Valencia, kam sie überhaupt nicht vor,
während andernorts, etwa in Granada und auf den Kanaren, der Klerus mit
der neuen Verwaltung zusammenarbeitete. Wiederum in anderen Gegen-
den, etwa in Barcelona und Sevilla, setzten örtliche Junten radikale Maß-
nahmen durch, indem sie Jesuiten und andere Orden verbannten, Zivilehe
und -begräbnis einführten, Pfarrgemeinden auflösten und Kirchengebäude
säkularisierten oder gar zerstörten11.
Manchen Katholiken dienten solche Vorgänge schlicht als »Beweis« des
satanischen Wesens des atheistischen Feindes und der kosmologischen
Dimension des Kampfes, der hier ausgetragen wurde. Ein klassisches Bei-
spiel bietet die Historia de los heterodoxos españoles von Marcelino Menén-
dez Pelayo, der das sexenio als eine einzige »Revolution« mit dem Ziel, Spa-
nien den Katholizismus auszutreiben, deutete12. Menéndez Pelayo war nicht
daran gelegen, die reformistische von der republikanischen Periode abzu-
grenzen oder die verfassungsmäßige Trennung von Kirche und Staat vom
»Krieg gegen Gott«, den radikale Säkularisten führten13. Er war vielmehr der
Überzeugung, hier sei der Feind Spaniens auf dem Vormarsch, der es auf die
Religion
– und mit ihr die Harmonie zwischen den Klassen, die Ordnung der
Gesellschaft, das Privateigentum usw.
– abgesehen hatte. Damit gab er einem
konservativen Nationalismus den Ton vor, der überzeugt war, in der Unord-
nung der ersten Republik habe der »Beweis« für die antireligiösen Absichten
der »Revolution« gelegen, die nunmehr als eine einheitliche und verschwo-
rene Macht begriffen wurde.
Menéndez Pelayo war ein vielseitiger, jedoch wenig origineller Gelehrter,
dessen Einfluss vor allem in einem Bild der spanischen Geschichte lag, wel-
ches die katholische Einheit als Inbegriff spanischer Nation und Staatlich-
keit verstand14. Seine klare Darstellung widerstreitender katholischer und
10 Gerüchten zufolge war sie eine Nymphomanin und eine religiöse Fanatikerin; vgl.
Isabel Burdiel (Hg.), Los borbones en pelota, Zaragoza 2012; Maite Zubiaurre,
Cultures of the Erotic in Spain, 1898–1939, Nashville 2012, S. 259–262.
11 Vgl. Moliner Prada, Anticlericalismo y revolución liberal, S. 106f.; Gregorio de la
Fuente Monge, El enfrentamiento entre clericales y revolucionarios en torno a 1869,
in: Ayer 44 (2001), S. 127–150.
12 Vgl. Marcelino Menéndez y Pelayo, Historia de los heterodoxos españoles, Bd. 2,
Madrid 1992 [zuerst 1880–1882], S. 1335–1359.
13 Vgl. Suárez Cortina, Entre cirios y garrotes, S. 51–59, 131–136.
14 Vgl. Alvarez Junco, Mater Dolorosa, S. 433–496.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918