Seite - 297 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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297Gewalt,
Religion und Gegenrevolution in Spanien
für angebracht, während Donoso Cortés auf der katholischen Einheit insis-
tierte24. Wie drängend oder schwierig die Umstände auch seien, der Primat
der Kirche dürfe nicht kompromittiert werden.
Im radikalen Gegensatz zu Bonald sah das gegenrevolutionäre Denken
de Maistres von jeglicher Naturrechtstheorie ab und fußte auf dem augus-
tinischen Gedanken der Erbsünde. Da die Menschheit von der Wurzel auf
verderbt sei, könne die Ordnung der Gesellschaft nur mit Gewalt aufrechter-
halten werden. Es war dies die Gewalt des Opfers: Blut stand gegen Blut, und
krimineller, zersetzender Gewalt konnte nur mit strafender, rechtmäßiger
Gewalt begegnet werden. Nur der Henker vermochte den sozialen Zusam-
menhalt zu gewährleisten. Im Grunde boten de Maistre und Donoso Cortés
eine Aktualisierung der augustinischen Sündentheologie: Der Rationalismus
war ihnen eine Illusion, und die menschliche Gesellschaft war nur zu retten,
indem sie sich einer äußeren Autorität unterwarf 25. De Maistres Theorien
der Gewalt als Erlösung und Opfer bildeten folglich die Grundlage für die
von Donoso Cortés formulierte »politische Theologie«26. Das Opfer Christi
sei zugleich Gipfel und Quelle aller anderen Opfer, die sich ohne Unterlass
wiederholten, seitdem »Abel, de[r] Gerechte[]« von der Hand seines Bruders
»Kain, dem Brudermörder« den Tod erduldete. Seitdem teilten sich die Men-
schen in zwei Lager, »von konträren Gesetzen und von ungleichen Regenten,
der Stadt Gottes und der Stadt der Welt«27.
In diesem Rahmen, der bis in die Formulierung des »Gottesstaat« (De
civitate dei) dem heiligen Augustin entlehnt war, erschien die Erbsünde als
unentrinnbar. Schließlich sollte die sich wiederholende, erlösende Gewalt
die Schöpfung auf dem Weg der göttlichen, reinigenden Gewalt wieder zur
Einheit führen. Bis zu dieser Apokalypse musste jedoch der Opferzyklus
fortgeführt werden, denn »so unvollkommen und unwirksam diese Opfer
auch waren, sie trugen virtuell auf der einen Seite das Dogma der Ursünde,
das ihrer Fortpflanzung und das der Solidarität in sich und auf der ande-
ren das der Zuwendbarkeit und das der Stellvertretung«28. Opfergewalt
fuße auf »ineinander verschlungenen Vorstellungen von Substitution und
24 Vgl. Suárez Cortina, Entre cirios y garrotes, S. 52; Benoît Pellistrandi, Catoli-
cismo e identidad nacional en España en el s. XIX, in: Paul Aubert (Hg.), Religión y
sociedad en España (s. XIX y XX), Madrid 2002, S. 91–120.
25 Vgl. Arthur Versluis, The New Inquisitions. Heretic-Hunting and the Intellectual
Origins of Modern Totalitarianism, Oxford 2006, 32f.
26 Vgl. Alberto Spektorowski, Maistre, Donoso Cortes, and the Legacy of Catholic
Authoritarianism, in: Journal of the History of Ideas 63 (2002), H. 2, S. 283–302;
Antonio Fornés Murciano, Providencialismo, decisionismo y pesimismo antropo-
lógico: influencia de Joseph de Maistre en la teología política de Donoso Cortés, in:
Hispania Sacra 127 (2011), S. 235–260.
27 Donoso Cortés, Essay, S. 191.
28 Ebd., S. 193.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918