Seite - 299 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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299Gewalt,
Religion und Gegenrevolution in Spanien
in seinen Titel auf, und zwar am entsprechenden Hochfest. Fortan sollte das
Heiligste Herz dem integralistischen Kampf beistehen, die katholische Ein-
heit des Staates wiederherzustellen und den Liberalismus zu besiegen, dieses
»apokalyptische Ungeheuer, das sein Maul aufreißt, um Gott zu lästern«32.
Die minderheitliche Strömung des politischen Integralismus, der einen radi-
kalen und unbedingten Monarchismus vertrat, floss zusammen mit dem
nicht minder kompromisslosen, doch weitaus breiteren Strom einer Kultur
der Frömmigkeit, die bis in die Mitte des etablierten Katholizismus reichte.
Die »Herrschaft Christi« symbolisierte die Ablehnung des Liberalismus und
anderer neuzeitlicher Irrlehren; damit stand sie für eine stramm integralis-
tische Position innerhalb eines sehr beliebten und weithin akzeptierten Kul-
tus, der auch von der Gesellschaft Jesu eifrig propagiert wurde33.
Die Begründerin der modernen Herz-Jesu-Verehrung, die heilige Marga-
reta Maria Alacoque (1647–1690; selig 1864, heilig 1920), gehörte zu einer
Reihe von Mystikerinnen, deren visionäre Erfahrungen sich um das nach
außen gekehrte Herz Jesu drehten. Das stellvertretende Sühneopfer bildete
den Kern sowohl der mystischen Erfahrungen der Heiligen wie auch des von
ihr begründeten Kultus. Das Herz Jesu war ihr das Mittel zur Teilnahme an
der Passion; geteilter Schmerz sei Jesu wohlgefällig und leiste Buße für die
Sünden der Menschheit. Hungern, körperliche »Disziplin« und Selbstzüch-
tigung galten ihr als Mittel, die Selbstauflösung zu erreichen, deren Inbild
die Vision darstellte, in welcher die Heilige mit Jesus das Herz tauschte34.
In dieser »heroischen Selbstdisziplin« eiferte sie früheren Mystikerinnen
nach, deren Erzählungen den Körper sowohl verleugnet als auch in die Mitte
gerückt hatten, und reihte sich selbst in ihre Schar ein. Die Fleischabtötung
wurde zum ekstatischen Erlebnis, ihr Lohn war ein inniges persönliches Ver-
hältnis zu Jesus, etwa indem er sein Herz auf ihres legte und sprach: »Hier
hast du, meine Vielgeliebte, ein kostbares Unterpfand meiner Liebe. Ich habe
einen kleinen Funken ihrer heißesten Flammen in deine Brust eingeschlos-
sen, der dir künftighin als Herz dienen und dich bis zum letzten Augenblick
32 El Siglo Futuro, 14. Juni 1912; vgl. Luis Cano, »Reinaré en España«. La mentalidad
católica a la llegada de la Segunda República, Madrid 2009, S. 44–47.
33 Raymond Jonas, France and the Cult of the Sacred Heart. An Epic Tale for Modern
Times, Berkeley CA 2000; zu den Jesuiten siehe auch Frances Lannon, Privilege,
Persecution and Prophecy. The Catholic Church in Spain, 1875–1975, Oxford, 1990,
S. 29–31, 125f., 129.
34 Vgl. Wendy M. Wright, Inside My Body Is the Body of God. Margaret Mary Ala-
coque and the Tradition of Embodied Mysticism, in: Robert Boenig (Hg.), The Mys-
tical Gesture. Essays on Medieval and Early Modern Spiritual Culture in Honour
of Mary Giles, Aldershot 2000, S. 185–192, hier S. 189–192; Molly G. Morrison,
Strange Miracles. A Study of the Peculiar Healings of St Maria Maddelena de’ Pazzi,
in: Logos 8 (2005), H. 1, S. 129–134.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918