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327Katholiken
und Gewalt in Großbritannien
blieb nur der heilige Michael, um ein hinreichend hohes Beispiel von starker
Integrationskraft zu bieten. Diese Tatsache spiegelte sich in der Schaffung
der »Guild of St. Michael« für Flieger, die kurz nach Gründung der »Royal
Air Force« 1918 erfolgte. Der Bund bewies die Fähigkeit der katholischen
Frömmigkeit, sich neuen Gegebenheiten und neuen Technologien anzupas-
sen. Sein selbst gesetztes Ziel war:
Alle unsere katholischen Flieger unter dem besonderen Schutze des heiligen Michael,
des Erzengels, zu vereinen. Der hl. Michael ist der natürliche Schutzpatron der Flieger.
Schon vor der Schöpfung der Welt erwarb er sich seine Flügel [im englischen gleich-
bedeutend mit »Flugabzeichen« – d. Ü.]. Er war [Geschwader-]Führer in der großen
Schlacht gegen den Drachendämon und seine bösen Gefolgsleute, und ließ zahllose
Feinde in Flammen niedertaumeln (Offb 12). Am jüngsten Tage wird er als Feldherr
gegen den Antichristen anerkannt (Dan 12). Unter dem Schutze dieses berühmten
Fliegers und Luftkämpfers mögen sich unsere katholischen Flieger stellen, indem sie
diesem Bund beitreten69.
Wenn schon die Frömmigkeit der katholischen Soldaten Britanniens nicht
wesentlich von kriegerischer Stimmung geprägt war, so trug die Lehre vom
gerechten Krieg das ihre dazu bei, ihre Kampfeslust in geordnete Bahnen
zu lenken. Der in der Tugend der Barmherzigkeit wurzelnde Begriff ver-
langte von den Kämpfenden Selbstbeherrschung und Verhältnismäßigkeit
(ius in bello). Unter diesem Aspekt erregte eine ungewöhnlich blutrünstige
Ansprache des redseligen Bernard Vaughan im Londoner Mansion House
im Januar 1916 bei vielen Katholiken Anstoß, insbesondere die unverblümte
Aussage, es sei »unser Geschäft, weiterhin Deutsche zu töten. Irgendjemand
muss schließlich getötet werden, und glauben Sie etwa, wir sollten in Anbe-
tracht des Zweckes, dessentwegen wir kämpfen, uns töten lassen?«70. Eher
repräsentativ für die katholische Meinung, selbst unter den Jesuiten, denen
Vaughan angehörte, dürfte ein Leitartikel in der Februarnummer 1915 von
The Month sein, in dem der weihnachtliche Waffenstillstand von 1914 unter
Gesichtspunkten der militärischen Disziplin und der christlichen Moral
betrachtet wurde. Der Artikel verurteilte »die ehrgeizigen Herrscher, die
prinzipienlosen Staatsmänner, die ruhmsüchtigen Soldaten, und die ganze
Brut der Fischer im Trüben« und ging so weit, die Soldaten zu loben, die sich
am Weihnachtstag entschieden hatten, nicht zu kämpfen:
69 The Harvest, August 1918, S. 140.
70 Youssef Taouk, The Roman Catholic Church in Britain during the First World War.
A Study in Political Leadership, unveröffentlichte Dissertation, University of Sydney,
2003, S. 205–207.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918