Seite - 329 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
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329Katholiken
und Gewalt in Großbritannien
die so wesentliche und entscheidende Verbindung zwischen Gewalt und Ent-
behrungen des Krieges und dem katholischen Verständnis des Leidens und
dessen spirituellen Wertes.
Die zunehmende Bedeutung Thérèses als Schutzpatronin spiegelte sich in
den vielen Dutzend Briefen, die Soldaten an ihr ehemaliges Kloster in Lisieux
sandten, unter denen sich, wie Annette Becker festgestellt hat, eine »bemer-
kenswerte« Zahl von Briefen britischer Katholiken befand76. Auch William-
son betonte in seinen Memoiren die Bedeutung Thérèses, schilderte Fälle, in
denen sie geholfen habe, und erklärte: »In verschiedenen Lebenslagen ver-
dankte ich viel der Hilfe und Fürsprache Schwester Teresas (sic!) von Lisieux,
insbesondere während des Krieges«77. Der katholischen Lehre zufolge, wie
Prediger und Schriftsteller während des Krieges immer wieder betonten, war
der Krieg, wie gerecht auch immer er sein mochte, ein unvermeidliches Übel
des menschlichen Daseins – eine von Gott angeordnete »Züchtigung der
Sünden der Menschen«. Damit war der Krieg jedoch zugleich eine spirituelle
Gelegenheit, die es zu ergreifen galt, mithin ein dringender, an den Einzel-
nen wie an ganze Völker gerichteter Aufruf zu Buße und Sühne78. Gewalt
und Not des Krieges galt es also als Teil der geistigen Disziplin zu erdulden,
auf dass sie greifbare und heilsame Früchte trügen – z.B. als guten Tod oder
Möglichkeit, im eigenen Leiden die Passion Christi nachzuahmen und damit
für die eigenen Sünden Sühne zu leisten.
Leben und Tod Schwester Thérèses, wie auch ihre demütige Hinnahme
der eigenen Kleinheit und Schlichtheit, boten dieser Generation ein so pas-
sendes wie naheliegendes Vorbild. In einem 1918 unter dem Titel For the
Front erschienenen Handbuch, das Soldaten Rat in geistlichen wie morali-
schen Fragen erteilen sollte, wurden katholische Soldaten angehalten, sich in
»geduldigem Leiden« zu üben:
Von Mühsal an sich wird der Mensch weder zum Guten noch zum Bösen verändert. Es
hängt ganz davon ab, wie er sie erträgt.
[…] Entschließen wir uns also, unsere Mühsal
auf jeden Fall rechten Sinnes zu ertragen. Seien wir uns allezeit gewärtig, dass, wer in
diesem Leben sein Leid geduldig auf sich nimmt, im Himmel großen Lohn von Gott
empfangen wird. Sagen wir uns alle: »Ich nehme dies meiner Sünden halber auf mich.
Es sei Teil meines Fegefeuers«. Durch Gottes Vorsehung führen wir nun ein hartes
Leben. Wir können es nicht weniger hart machen. Uns ist nun eine große Gelegenheit
gegeben, uns im Himmel einen hohen Platz zu verdienen – weitaus höher, als wir ihn
76 Vgl. Becker, War and Faith, S. 83.
77 Williamson, »Happy Days«, S. 84f.
78 Vgl. John Davies, »War is a Scourge«. The First Year of the Great War 1914–1915.
Catholics and Pastoral Guidance, in: British Catholic History 30 (2011), H.
3, S.
485–
500, hier S. 495–498.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918