Seite - 338 - in Glaubenskämpfe - Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
Bild der Seite - 338 -
Text der Seite - 338 -
338 Eveline G. Bouwers
»Hep-Hep-Unruhen« im Deutschen Bund) und die antikatholischen Exzesse
in den USA der 1840er Jahre (die sogenannten »Philadelphia Nativist Riots«)
sind nur einige Beispiele, die die Wirkkraft der Verbindung von Glaube und
Gewalt in der ersten Jahrhunderthälfte bezeugen. Dennoch springt die stei-
gende Zahl von religionsbezogenen Gewaltakten ab den 1850er Jahren, ins-
besondere von den frühen 1870er bis zu den 1900er Jahren, ins Auge. Auch
die analysierten Gewaltsemantiken der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhun-
derts – man denke an das Sektierertum in Irland, den Antisemitismus in
Frankreich und im Habsburgerreich sowie an den spanischen Integralis-
mus – führten in der zweiten Jahrhunderthälfte zu physischen Gewaltakten.
Auch wenn sie physische Gewalt im bzw. um den religiösen Raum als ein
eher marginales Phänomen betrachten, haben bereits Christopher Clark und
Wolfram Kaiser für die 1860er bis 1880er Jahre eine Vermehrung säkular-
katholischer Konflikte diagnostiziert – die Rede ist von den »hot culture
wars« – welche sie mit der (kurzlebigen) Stärkung liberaler Politik verbin-
den2. Der vorliegende Band zeigt, dass diese erstarkte Konfliktbereitschaft
den gesamten religiös-weltanschaulichen Raum erfasste und zudem länger
anhielt
– eine Einschätzung, die weniger der Auswahl der Fallstudien geschul-
det ist als vielmehr historisch begründet werden kann. Die bereits erwähnte
Ausweitung des liberalen Staates, wie z.B. in Mexico und Belgien, bietet eine
erste Erklärung für die vermehrte »religiöse Gewalt« im späten 19. Jahrhun-
dert. Damit verbunden ist die Entfaltung eines militanten Katholizismus,
der eine Reaktion auf den aufstrebenden Liberalismus sowie die revolutio-
nären Umtriebe früherer Jahrzehnte darstellte und sich mancherorts, wie
z.B. in Frankreich und Galizien, mit einem zusehends antisemitisch gelager-
ten politischen Katholizismus verband. Ein dritter Grund für den engeren
Zusammenhang zwischen Glaube und Gewalt nach 1848/1849 ist die ver-
mehrte zeitgenössische Hinwendung zu »contentious politics«. Immer mehr
Menschen, die bisher von politischen Entscheidungsprozessen ausgeschlos-
sen gewesen waren, forderten die Berücksichtigung ihrer Interessen lautstark
ein. Bezog sich diese »Politik der Straße« oft auf sozialwirtschaftliche und
nationalethnische Differenzen, sorgte sie für eine Mobilisierungswelle, die
auch andere Differenzkategorien, wie Religion, ergriff. Die Zunahme von
Gewaltakten im religiösen Raum hängt viertens mit der Ausweitung kolo-
nialer Herrschaft zusammen3. Die europäische Expansion in Asien und vor
2 Vgl. Christopher Clark / Wolfram Kaiser, Introduction. The European Culture
Wars, in: Dies. (Hg.), Culture Wars. Secular-Catholic Conflict in Nineteenth-Cen-
tury Europe, Cambridge 42006, S. 1–10, hier S. 6.
3 Dieser Prozess wird eindrucksvoll geschildert in den Beiträgen in Ulrich van der
Heyden / Jürgen Becher (Hg.), Mission und Gewalt. Der Umgang christlicher Mis-
sionen mit Gewalt und die Ausbreitung des Christentums in Afrika und Asien in der
Zeit von 1792 bis 1918/19, Stuttgart 2000.
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918