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342 Eveline G. Bouwers
die sozialen Spannungen innerhalb der eigenen Gemeinschaft (d.h. zwischen
Adel, Klerus und Bauern) durch die Konstruktion eines religiösen »Ande-
ren«, des Juden, zu bewältigen. Die von Regina
M.
Schwarz vertretene These,
dass divergente Gottesbilder als Normverletzung, die es zu bekämpfen galt,
rezipiert werden, lässt sich u.a. mit dem Beispiel missionarischer Gewalt
an indigenen Kindern verbinden; die gewaltsame Züchtigung wurde unter
Verweis auf die Verletzung der christlichen Morallehre seitens der kleinen
Tumloerinnen gestattet, wenn nicht sogar explizit gefordert. Die diskursive
Distinktion zwischen »wahrem« und »falschem« Gottesverständnis (Jan
Assmann) kann wiederum, wenn auch in abgeänderter Form, als Grundlage
für den sektiererischen Konflikt in Ulster verstanden werden, wo die beiden
Konfliktlager das Christsein des konfessionell »Anderen« anzweifelten, was
Gewalt sowohl legitimierte als auch religiös deutete.
Es gibt weitere Beispiele. Die These von William T. Cavanaugh besagt,
dass »religiöse Gewalt« eine Erfindung des liberalen Staates zur Förderung
eigener Hegemonialansprüche war. Denkt man an die französischen Revo-
lutionskriege und an den »Schulstreit« in Belgien im ausgehenden 19. Jahr-
hundert, wird klar, dass die Gewaltbereitschaft einzelner Katholiken oftmals
von revolutionärer bzw. liberaler Seite überspitzt dargestellt wurde mit dem
Ziel, die Macht des säkularen Staates zu erweitern, der sich eine »Zivilisie-
rungsmission« auf die Fahnen schrieb. Einen etwas anders gelagerten Poli-
tisierungsprozess bietet Karen Armstrongs Arbeit, die in »religiöser Gewalt«
politischen Fundamentalismus erblickt. Während der Deutsche Reichstag
die Zerstörung der Puguer Station sowie die Ermordung und Verschlep-
pung eines Teils ihrer Bewohner als religiösen Kampf wertete, interpretier-
ten die ostafrikanischen Gewaltakteure ihre Handlungen im Sinne eines
wirtschaftspolitischen Streits um die Vorherrschaft im lokalen Handel; das
angeblich Religiöse war in Wahrheit säkular.
Außerdem betonen mehrere Beiträge die Verflechtung von religiösen und
säkularen Differenzen sowie das Verhalten des religiös-kirchlichen Anderen
für die Entstehung religionsbezogener Gewaltakte (dazu auch Hans Kippen-
berg). In Ricmanje, zum Beispiel, war es die Angst vor Verlust an einer inter-
sektional gedachten lokalen Eigenständigkeit, die zu Übergriffen auf Priester
führte, die vom Bistum in das Dorf entsandt worden waren. Mit den mexi-
kanischen religioneros gibt es in diesem Band zudem ein Beispiel für die
Performativität von Gewaltakten, die dazu angedacht sind, das religiös-welt-
anschauliche Gegenüber in die eigene Lebenswelt hineinzuversetzen (Mark
Juergensmeyer). Sie griffen zu Gewalt, um die vom ultramontanen Episko-
pat angeordnete Vereinheitlichung kirchlicher Praktiken zu stoppen und so
ihre eigene synkretistisch ausgelegte religiöse Kultur zu schützen. Schließ-
lich taucht auch das Prinzip des Ressourcenkonflikts, das in der Theorie von
Hector Avalos hervorgehoben wird, in einzelnen Beiträgen auf, auch wenn
Glaubenskämpfe
Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Titel
- Glaubenskämpfe
- Untertitel
- Katholiken und Gewalt im 19. Jahrhundert
- Herausgeber
- Eveline Bouwers
- Verlag
- Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-666-10158-8
- Abmessungen
- 15.9 x 23.7 cm
- Seiten
- 362
- Schlagwörter
- 19. Jahrhundert, katholische Kirche, Gewalt, Legitimation, Glaube, Katholizismus, historische Entwicklung, Säkularisierung, Pluralismus, historische Analyse, Geschichtsschreibung, strukturelle Gewalt, Diskurs
- Kategorien
- Geschichte Vor 1918