Seite - 10 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
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10 I. Einleitung
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
notierte etwa der Untersuchungsrichter 1925 am Ende der Befragung
der zwölfjährigen Maria D., die beschuldigt wurde, mit der siebzehn-
jährigen Maria H. gleichgeschlechtliche Unzucht getrieben zu haben.
Weibliche Beschuldigte wurden auch eher mit negativ konnotierten Be-
grifflichkeiten belegt als männliche. Der Mechaniker Josef R., der 1928
seine zum damaligen Zeitpunkt sechzehneinhalb Jahre alte Braut Mar-
garethe H. wegen gleichgeschlechtlicher Unzucht anzeigte, gab zu Pro-
tokoll: » [ … ] zwischen der Genannten und deren Quartiergeberin Anna
B. [ spielen ] sich lespische [ sic ! ] und wiedernatürliche [ sic ! ] Orgien täg-
lich ab[ … ]. [ … ] Ich habe dem Mädchen sogar die Heirat versprochen al-
les nützt nichts. « 25 Von dem ermittelnden Polizeibeamten wurde Mar-
garethe H. als » pathologisch veranlagt « 26 und sittlich völlig verwahrlost
beschrieben.
Die erhaltenen Quellen decken freilich nur einen Teilbereich der
Vergangenheit ab und dürfen nicht als sichere Belege für das Vorhan-
densein oder Nichtvorhandensein bestimmter Phänomene gewertet
werden.27 So lässt sich beispielsweise aus der Tatsache, dass der An-
teil der Frauen, gegen die ein Verfahren wegen gleichgeschlechtlicher
Unzucht eingeleitet wurde, nicht einmal fünf Prozent aller Beschul-
digten ausmachte,28 nicht schließen, dass dies dem tatsächlichen Ge-
schlechterverhältnis der » unzüchtig Handelnden « entsprach. Viel eher
scheint die » weibliche Unterrepräsentanz « in den Akten auf eine dop-
pelte Marginalisierung hinzudeuten, der lesbische Frauen ausgesetzt
waren: als Frauen einerseits, als homosexuelle Menschen andererseits.29
in den Akten vorfindlichen Darstellungen um summarische Ausführungen han-
delt, die nicht das tatsächlich Gesprochene wiedergeben. Siehe dazu Kapitel VII.
25 OÖLA, BG / LG Linz Sch 343, 13 Vr 810 / 29, Anzeige vom 9. Oktober 1928.
26 OÖLA, BG / LG Linz Sch 343, 13 Vr 810 / 29, Meldung vom 17. Oktober 1928.
27 Vgl Hergemöller Bernd-Ulrich, Einführung 51.
28 Vgl auch den Befund bei Müller Albert / Fleck Christian, ÖZG 1998, 419. Noch nied-
riger liegt die von Weingand genannte Zahl: Von 1922 bis 1937 seien österreichweit
6784 Personen wegen gleichgeschlechtlicher Unzucht verurteilt worden, darun-
ter lediglich 152 Frauen, was einem Anteil von 2,24 Prozent entspricht, vgl Wein-
gand Hans-Peter, Urninge, Conträrsexuelle und warme Brüder. Homosexualität um
1900, Vorwort zu Zinner Julius, Entspricht die Bestrafung der Homosexuellen un-
serem Rechtsempfinden ? Österreichs erste Streitschrift eines Betroffenen. Kom-
mentierte Neuauflage ( 2008 ) 49 En 22. Einen höheren Anteil an verfolgten Frauen
weist Kirchknopf allerdings für die NS-Zeit nach, vgl Kirchknopf Johann, Invertito –
Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten 2013, 92 ff.
29 Vgl Wahl Niko, » Dame wünscht Freundin zwecks Kino und Theater «. Verfolgung
gleichgeschlechtlich liebender Frauen im Wien der Nazizeit, in Förster Wolfgang /
Natter Tobias G. / Rieder Ines ( hg ), Blick 181.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik