Seite - 12 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
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12 I. Einleitung
Elisabeth Greif âą Verkehrte
Leidenschaft¶
Zahlreiche Arbeiten zum Straftatbestand der gleichgeschlechtlichen
Unzucht und zur Pathologisierung der HomosexualitÀt im deutschspra-
chigen Raum verstehen sich als Studien ĂŒber MĂ€nnlichkeit ( en ).33 Davon
unterscheidet sich die vorliegende Untersuchung insofern, als die Tat-
sache, dass das österreichische Strafrecht die gleichgeschlechtliche Un-
zucht sowohl unter MÀnnern als auch unter Frauen pönalisierte, eine
BeschrĂ€nkung der Analyse auf die Kategorie MĂ€nnlichkeit ausschlieĂt.
Die Arbeit geht von der Ăberlegung aus, dass weder » SexualitĂ€t « noch
» Geschlecht « ahistorische Konstanten darstellen. Die Vorstellungen
von Geschlecht und sexueller IdentitÀt 34 resultieren nicht etwa aus ei-
ner ontologischen QualitÀt, sondern werden in Prozessen ideologischer
Formation sozial konstruiert.35 Wie zu einer bestimmten Zeit und an
einem bestimmten Ort ĂŒber » Frauen « und » MĂ€nner «, ĂŒber » Weiblich-
keit « und » MÀnnlichkeit « gedacht und gesprochen wird, hat Einfluss
auf das jeweilige subjektive Empfinden des eigenen Geschlechts. Auch
Strafrechtsnormen kommt ein funktionaler Stellenwert fĂŒr vorfindli-
che Unterschiede zwischen Frauen und MĂ€nnern zu, denn sie setzen
bestimmte Konzeptionen der Geschlechterrollen voraus.36 Das asym-
metrische GeschlechterverhÀltnis produziert und reproduziert sich in
Regel nur schwer faĂbar [ wĂ€ren ]. Die Grenzen zwischen freundschaftlichen ZĂ€rt-
lichkeitsbezeugungen, BerĂŒhrungen im Zuge von Hilfeleistungen bei der Kör-
perpflege und dergleichen einerseits und echten gleichgeschlechtlichen Akten
andererseits entzögen sich weitgehend der Feststellung im StrafprozeĂ. «, 39 BlgS-
tenProtNR XII. GP 15.
33 So insbesondere LĂŒcke Martin, MĂ€nnlichkeit in Unordnung. HomosexualitĂ€t
und mÀnnliche Prostitution in Kaiserreich und Weimarer Republik ( 2007 ); Nie-
den Susanne zur ( hg ), HomosexualitÀt und StaatsrÀson. MÀnnlichkeit, Homopho-
bie und Politik in Deutschland 1900â1945 ( 2005 ); Herrn Rainer, Magnus Hirsch-
felds Geschlechterkosmos: Die Zwischenstufentheorie im Kontext hegemonialer
MĂ€nnlichkeiten, in Brunotte Ulrike / Herrn Rainer ( hg ), MĂ€nnlichkeit und Moderne.
Geschlecht in den Wissenskulturen um 1900 ( 2008 ) 173. FĂŒr Deutschland erklĂ€rt
sich diese Fokussierung auf MĂ€nnlichkeit nicht zuletzt aus der Tatsache, dass
§ 175 Reichsstrafgesetzbuch 1871 ausschlieĂlich die Unzucht unter MĂ€nnern unter
Strafe stellte.
34 Soweit im Untersuchungszeitraum ĂŒberhaupt von sexueller IdentitĂ€t im gegenwĂ€r-
tigen Sinne gesprochen werden kann, siehe dazu unten.
35 Vgl Althoff Martina / Leppelt Monika, Feminismus & Foucault: eine Perspektive Kri-
tischer Kriminologie, Kriminologisches Journal 1991, 97 ( 100 ).
36 Vgl Lautmann RĂŒdiger, Das Verbrechen der widernatĂŒrlichen Unzucht. Seine Grund-
legung in der preuĂischen Gesetzesrevision des 19. Jahrhunderts, in Lautmann RĂŒ-
diger / Taeger Angela ( hg ), MĂ€nnerliebe im alten Deutschland. Sozialgeschichtliche
Abhandlungen ( 1992 ) 141 ( 142 ).
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Buch Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin"
Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 â 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik