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Wahl des Untersuchungsgegenstandes
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
teilt.45 Die Konzentration auf einen zwanzig Jahre umfassenden, regi-
onal geschlossenen Untersuchungszeitraum ermöglichte es einerseits,
die Grundgesamtheit der vom Ende des Ersten Weltkrieges bis zum
» Anschluss « im Landesgerichtssprengel Linz wegen gleichgeschlecht-
licher Unzucht verfolgten Personen erstmalig zu erschließen; ande-
rerseits konnte so untersucht werden, ob und wie der Einfluss neuer
Wissensbestände – aber auch wechselnde politische Strukturen – trotz
personeller Konstanz zu einem veränderten Umgang mit » unzüchtig
Handelnden « führten.
Erhebliche Unterschiede weist der Umfang der erhalten gebliebenen
Akten auf. Bisweilen existieren nur mehr einzelne Schriftstücke, wie An-
zeige, Vernehmungsprotokolle, Anklageschrift oder Urteil. Lediglich in
176 Fällen sind sämtliche zum Akt gehörige Dokumente vorhanden. Auch
dort, wo der ganze Akt erhalten ist, wird jeweils nur ein fragmentarisches
Bild der an einem Strafverfahren beteiligten Personen vermittelt. Die
Schriftstücke beschränken sich weitestgehend auf die Wiedergabe jener
( persönlichen ) Erzählungen, die für das gerichtliche Verfahren von Inter-
esse sind, darüber hinaus enthalten sie kaum Informationen über die je-
weiligen Personen.46 Das zur Verfügung stehende Aktenmaterial besteht
außerdem nicht aus authentischen Aussagen der beteiligten Akteure
und Akteurinnen. Es handelt sich vielmehr um » von individuellen Inter-
essen geprägte Strategien und Argumentationsmuster « 47 gegenüber den
Strafverfolgungsbehörden. Die Anzeigen und Vernehmungsprotokolle
geben in der Regel nicht das tatsächlich Gesprochene wieder, sondern
halten es in reduzierter, formalsprachlicher Gestalt fest.48 Der Rechts-
45 400 Personen wurden einmal, 25 Personen zweimal, drei Personen dreimal und
eine Person insgesamt viermal wegen § 129 I b StG 1852 beschuldigt.
46 Obwohl die in den untersuchten Akten vorkommenden Personen nicht mehr am
Leben sind, handelt es sich bei den erhobenen Informationen um sensible Daten.
In der vorliegenden Arbeit werden daher die in den Akten genannten Personen
jeweils mit Vorname ( soweit bekannt ) und abgekürztem Nachnamen ( erster Buch-
stabe beziehungsweise die ersten Buchstaben ) angeführt. Die Vornamen werden
beibehalten, da sie ein bestimmtes » Bild « einer Zeit und ihrer Gesellschaft ver-
mitteln. Der Punkt am Ende des Nachnamens steht dagegen symbolisch für das
bruchstückhafte Bild, dass die Akten von den jeweiligen Personen vermitteln. Die
Anonymisierung erfolgte bei allen Beteiligten, wie auch bei den Angehörigen der
Strafverfolgungsbehörden, um nicht den Eindruck zu erwecken, lediglich die der
Unzucht Verdächtigen wären » namenlos «.
47 Altenstraßer Christina, Handlungsspielraum Denunziation. Alltag, Geschlecht und
Denunziation im ländlichen Oberdonau 1938 bis 1945 ( 2005 ) 51.
48 Eingehend dazu Kapitel VII und VIII.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik