Seite - 17 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
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Wahl des Untersuchungsgegenstandes
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
Noch bevor es zu einer Hauptverhandlung kam, verübte Leopold B.
Selbstmord durch Erhängen, sodass seine Aufzeichnungen im anschlie-
ßenden Gerichtsverfahren gegen die weiteren zwölf Beschuldigten nicht
als Beweismittel dienten und nicht weiter behandelt wurden.54 In an-
deren Fällen sind die erhaltenen Briefe codiert, die erwähnten Perso-
nen werden mit Decknamen wie » Drache «, » Chineser « oder » Friseur-
pinsel « bezeichnet, um den Behörden eine etwaige Ausforschung zu
erschweren.55 Nicht nur die Korrespondenz selbst, schon die Kontakt-
aufnahme folgte mitunter eigenen diskursiven Regeln: Das jeweilige
Umfeld konnte erhöhte Vorsicht erfordern und die Möglichkeiten des
Sagbaren einschränken. Hinweise auf die konkreten Entstehungsbedin-
gungen einzelner Äußerungen finden sich in den Akten freilich selten.
Eine der wenigen Ausnahmen stellt die von dem Lehrer Dr. Franz G. in
der Untersuchungshaft verfasste schriftliche Darstellung der ihm vorge-
worfenen Unzuchtshandlungen dar. Er berief sich auf wissenschaftliches
Interesse an den » sexuellen und asexuellen Stadien der höheren Schüler
in der Praepubertät und Pubertätszeit « 56, worüber er auch eine Schrift zu
veröffentlichen beabsichtige. Seiner Aufzeichnung fügte Franz G. die Be-
merkung bei: » Geschrieben in Anwesenheit von 12 Häftlingen. « 57
Das in der Arbeit untersuchte Quellenmaterial ist heterogen und
entstammt unterschiedlichen Sprechsituationen. Was im Rahmen von
parlamentarischen Debatten, in der schriftlichen Ausfertigung einer
höchstgerichtlichen Entscheidung oder in einem juristischen Lehr-
buch gesagt und geschrieben werden kann, unterscheidet sich auf viel-
fältige Weise von den lückenhaften Erzählungen, die in Gerichtsakten
überliefert sind. Um diese Unterschiede und ihre Bedeutung angemes-
sen nachzuzeichnen, wird der Gesetzgebungsgeschichte die Justizge-
schichte gegenübergestellt. So kann aufgezeigt werden, ob und wie
sich juristischer und sexualwissenschaftlich-medizinischer Diskurs je-
weils wechselweise beeinflussten und welche Auswirkungen dies auf
den Straftatbestand der gleichgeschlechtlichen Unzucht hatte. Die in
die rechtshistorische Analyse eingebettete Fallstudie des Landesge-
richtes Linz erlaubt darüber hinaus nicht nur ein Ausloten der jewei-
54 Aus diesem Grund findet sich im Akt auch keine Übertragung der stenographi-
schen Aufzeichnungen in Langschrift, weshalb das Tagebuch nicht in die Unter-
suchung miteinbezogen werden konnte.
55 Siehe OÖLA, BG / LG Linz Sch 451, 8 Vr 809 / 35.
56 OÖLA, BG / LG Linz Sch 423, 6 Vr 165 / 34, Aufzeichnung vom 5. Februar 1934.
57 OÖLA, BG / LG Linz Sch 423, 6 Vr 165 / 34, Aufzeichnung vom 5. Februar 1934.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik