Seite - 24 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
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24 I. Einleitung
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
» unzüchtig Handelnden « damit ein Forum, gaben gleichzeitig aber den
möglichen Aussagen eine bestimmte Richtung vor. Wo sich in den un-
tersuchten Gerichtsakten Selbstzeugnisse finden lassen, sollten sie den
Beschuldigten helfen, eine Verurteilung entweder zu vermeiden oder
eine zu erwartende Strafe doch zumindest zu mildern. Insgesamt hat-
ten die Strafverfolgungsbehörden jedoch mehr Interesse an der Tat und
den Tatumständen als an der Persönlichkeit der Täterinnen und Täter.
Annahmen und Beobachtungen sowie die konkrete Interpretation des
Begriffs » Unzucht « entschieden über eine Verurteilung.83 Ob die » un-
züchtig Handelnden « tatsächlich oder vermeintlich » homosexuell « wa-
ren, spielte für die österreichischen Strafverfolgungsbehörden nur in
zweierlei Hinsicht eine Rolle: Zum einen konnte der Umstand, dass je-
mand als homosexuell galt, Anlass zu ( polizeilicher ) Überwachung ge-
ben, zum anderen kam eine diagnostizierte » krankhafte Veranlagung «
zwar nicht als Schuldausschließungs-, aber doch als Strafmilderungs-
grund in Betracht. Homosexualität an sich stellte keine strafrechtliche
Kategorie dar, gleichgeschlechtliche Unzucht hingegen schon.84 Bestraft
wurden nicht Homosexuelle, sondern ( sexuelle ) Handlungen, die erst
durch einen bestimmten Kontext und ein bestimmtes Verständnis zu
homosexuellen Handlungen wurden.85 Ob und inwieweit Beschuldigte
» homosexuell « waren, spielte im Verfahren nur dann eine Rolle, wenn
eine derartige » Veranlagung « von den Betroffenen selbst ins Spiel ge-
bracht und / oder ein psychiatrisches Gutachten erstellt wurde. Eine
behauptete oder diagnostizierte » homosexuelle Identität « oder Veran-
lagung konnte damit zum Verhandlungsgegenstand eines Gerichtsver-
fahrens werden.86
83 Vgl dazu auch Müller Klaus, Herzen 138.
84 Vgl Dobler Jens, Zwischen Duldungspolitik und Verbrechensbekämpfung. Homo-
sexuellenverfolgung durch die Berliner Polizei von 1848 bis 1933 ( 2008 ) 14.
85 Bei den inkriminierten Handlungen handelte es sich durchwegs um solche, die
auch zwischen Personen verschiedenen Geschlechts stattfanden. Erst das Ge-
schlecht der Beteiligten ließ sie entweder zu » heterosexuellen « oder zu » homose-
xuellen « Handlungen werden. So vermerkte das Gutachten über den 34-jährigen
Rayonsinspektor Josef H.: » Die Handlungen des H., die er mit N. ausführte, zeigen
keine Anzeichen einer durch geistige Störungen verursachten Betätigung, sie ent-
sprechen vollkommen ähnlichen Handlungen, wie sie sich auch zwischen Mann
und Frau abspielen und sind durch den bestehenden, in diesem Fall allerdings
verkehrten Geschlechtstrieb ausgelöst «, OÖLA, BG / LG Linz Sch 369, 6 Vr 162 / 31,
Gutachten ( undatiert ).
86 Eingehend dazu Kapitel III und VII.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik