Seite - 36 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
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36 II. Vom Trieb zur Lust
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
scheulichen Handlung schuldig gemacht, von seinem Stande
degradirt [ sic ! ] und nachher mit der obigen Strafe, so wie
der gemeine Mann angesehen und behandelt werden. « 117
Dennoch wurde die Unzucht wider die Natur nicht unter die im ers-
ten Abschnitt geregelten Kriminalverbrechen ( Halsverbrechen ) einge-
reiht, sondern zählte zu den politischen, von der Verwaltungsbehörde
zu ahndenden Delikten des zweiten Abschnitts. Daraus schloss der
Wiener Strafrechtsprofessor Wilhelm Emil Wahlberg, dass das Josephi-
nische Strafgesetzbuch die Unzucht wider die Natur » aus der Reihe der
Verbrechen « gestrichen habe.118 Wahlberg selbst erschien die Selbstbe-
fleckung am verderblichsten und die sodomia ratione sexus als schwer-
wiegender als die sodomia ratione generis. Sie sei » Korruption der Ge-
schlechtssittlichkeit und versündigt sich an der Menschennatur [ .. ],
abgesehen von der Entnervung und Versumpfung durch Entartungen
der Geschlechtsgemeinschaft. « 119 Da aber Onanie, sodomia ratione se-
xus und sodomia ratione generis keine Rechtsverletzungen darstellten,
habe sie das österreichische Strafgesetz 1787 aus der Reihe der Verbre-
chen ausgeschieden.
Ungeachtet der Tatsache, dass sich die Ausführungen Joseph II. ex-
plizit nur an männliche Täter zu richten schienen, blieb der Normtext
des § 71 bei einer Strafbarkeit für beide Geschlechter: » Wer die Mensch-
heit in dem Grade abwürdiget, um sich mit einem Viehe, oder mit sei-
nem eigenen Geschlechte fleischlich zu vergehen, macht sich eines po-
117 Wahlberg Wilhelm Emil, Schriften III 12 ( Hervorhebung im Original ). Auch Gün-
ther führt aus, dass hinsichtlich der widernatürlichen Unzucht in der gesetzlichen
Ausdrucksweise » noch ein ziemlich starker Abscheu « anklingt, vgl Günther Louis,
Die Strafrechtsreform im Aufklärungszeitalter nebst Vergleichen mit unserer mo-
dernen kriminalpolitischen Reformbewegung, Archiv für Kriminal-Anthropologie
und Kriminalistik 1907, 112 ( 286 ); vgl weiters die Ausführungen bei Stooss Carl, Cri-
minalpolitische Gedanken österreichischer Strafgesetzgeber. Separatabdruck aus
der » Allgemeinen österreichischen Gerichts-Zeitung « ( 1902 ) 10 f.
118 Vgl Wahlberg Wilhelm Emil, Sodomie, in Holtzendorff Franz von ( hg ), Encyclopädie
der Rechtswissenschaft in systematischer und alphabetischer Bearbeitung. Zwei-
ter Theil. Rechtslexikon III 3 ( 1881 ) 693. Entschieden gegen diese Auffassung wandte
sich Wachenfeld. Weder die Einreihung des Deliktes unter die politischen Verbre-
chen, die durchaus schwere Delikte umfassten, noch die Formulierung der Straf-
bestimmung ließe darauf schließen, dass der gleichgeschlechtlichen Unzucht mit
Milde begegnet werden sollte. Verpönt seien jedoch weiterhin nur » beischläferi-
sche Handlungen «, vgl Wachenfeld Friedrich, Homosexualität und Strafgesetz. Ein
Beitrag zur Untersuchung der Reformbedürftigkeit des § 175 St.G.B. ( 1901 ) 25 f.
119 Wahlberg Wilhelm Emil in Holtzendorff Franz von ( hg ), Encyclopädie 693.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik