Seite - 45 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Bild der Seite - 45 -
Text der Seite - 45 -
45
Das Strafgesetz 1803
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
Mediziner und Gerichtsarzt Johann Baptist Friedreich führte dagegen als
mögliche Hinweise an: » Dauert diese Unzucht längere Zeit fort, so wird
besonders das jüngere Frauenzimmer bleich und eingefallen, geistig und
körperlich stumpf. Der ganze Körper wird mager, die Augen bekommen
eine eigene Trübheit und sind mit blauen Rändern umgeben. « 165 Auch an
den weiblichen Genitalien ließe sich die gleichgeschlechtliche Unzucht
nachweisen. Verräterische Anzeichen für die gleichgeschlechtliche Un-
zucht unter Frauen wurden insgesamt jedoch weniger häufig berichtet
und galten generell als ungesichert. So befand der Rechtsmediziner Jo-
seph Bernt: » Die Befriedigung der Geilheit durch Tribaden ( tribades, fric-
trices ) mit einer langen Klitoris, so wie die durch Statuen, läßt sich nur
durch die Ueberraschung auf der That [ … ] entdecken [ … ] «.166
Schon früh zweifelte allerdings der Berliner Gerichtsmediziner Jo-
hann Ludwig Casper auch die von anderen Autoren genannten » untrüg-
lichen Zeichen « der mann-männlichen Päderastie an. Beachtenswert
seien lediglich » [ e ]ine dutenförmige Einsenkung der nates nach dem
After zu « sowie » [ d ]ie faltenlose Beschaffenheit der Haut in der Umge-
gend des anus «, sie seien » von allen unsichern noch das sicherste Kenn-
zeichen für passiv erduldete Männerschändung. « 167 Darüber hinaus äu-
ßerte Casper noch eine zweite Vermutung, die das Forschungsinteresse
bald in eine neue Richtung lenken sollte:
» Die geschlechtliche Hinneigung von Mann zu Mann ist bei vie-
len Unglücklichen – ich vermuthe aber bei der Minderzahl – an-
geboren, während sie bei vielen andern Männern erst im spätern
Leben, als Folge einer Uebersättigung im gewöhnlichen Dienste
der Venus auftaucht. « 168
Medizin für Mediziner, Rechtsgelehrte und Gerichtsärzte mit Rücksichtnahme auf
die Schwurgerichte ( 1851 ) 55.
165 Friedreich Johann Baptist, Compendium der gerichtlichen Anthropologie. Für Ge-
richtsärzte, Richter und Vertheidiger 2 ( 1853 ) 62. Die Vorstellung, dass gleichge-
schlechtliche Unzucht durch einen markanten Altersunterschied gekennzeichnet
ist, wie dies in der Figur des » Knabenschänders « mitschwingt, wird hier auch auf
die Unzucht unter Frauen übertragen; vgl dazu Güntner Franz Xaver, Handbuch 55.
166 Bernt Joseph, Systematisches Handbuch der gerichtlichen Arzneikunde; zum Ge-
brauche für Aerzte, Wundärzte, Rechtsgelehrte und zum Leitfaden bei öffentlichen
Vorlesungen ( 1834 ) 102.
167 Casper Johann Ludwig, Ueber Nothzucht und Päderastie und deren Ermittlung Sei-
tens des Gerichtsarztes. Nach eigenen Beobachtungen, Vierteljahresschrift für ge-
richtliche und öffentliche Medicin, 1852, 21 ( 78 ).
168 Casper Johann Ludwig, Vierteljahresschrift für gerichtliche und öffentliche Medicin,
1852, 62.
zurück zum
Buch Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin"
Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik