Seite - 52 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
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52 II. Vom Trieb zur Lust
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
§ 129 I b StG 1852. Insbesondere war strittig, ob geschlechtliche Handlun-
gen zwischen Personen desselben Geschlechts ausschließlich den Tat-
bestand der widernatürlichen Unzucht erfüllen konnten, oder ob bei Ge-
schlechtsgleichheit allenfalls auch eine Strafbarkeit nach § 128 StG 1852
in Betracht kam, wenn die Tathandlung den § 129 I b StG 1852 nicht ver-
wirklichte. Umstritten blieb nach wie vor die Bedeutung des Begriffs » Un-
zucht « und insbesondere die Frage, inwiefern es sich dabei um » beischlaf-
ähnliche « oder » dem Beischlaf gleichzusetzende « Akte handeln musste.
a. Zur Abgrenzung zwischen Schändung und
gleichgeschlechtlicher Unzucht
Das Strafgesetz 1803 hatte in § 112 festgelegt: » Die an einer Person, wel-
che noch nicht vierzehn Jahre alt ist, unternommene Schändung wird
ebenfalls als Nothzucht angesehen und bestraft. « Aus dem Verweis des
§ 112 StG 1803 auf den Straftatbestand der Nothzucht in § 110 StG 1803 194
zog die Lehre den Schluss, dass Opfer einer Schändung nur eine Per-
son weiblichen Geschlechts sein könne. Die Tathandlung wurde in der
» unternommene[ n ], wenn auch nicht vollzogenen[ n ] Schändung [ i.e.
Beischlaf ] « erblickt.195 Das Strafgesetz 1852 führte die Unterscheidung
zwischen dem als Notzucht anzusehenden außerehelichen Beischlaf an
einer wehr- oder bewusstlosen weiblichen Person oder einem Mädchen
unter vierzehn Jahren nach § 127 und der Schändung nach § 128 ein. Den
Tatbestand der Schändung erfüllte, » wer einen Knaben oder ein Mäd-
chen unter vierzehn Jahren, oder eine im Zustande der Wehr- oder Be-
wußtlosigkeit befindliche Person zur Befriedigung seiner Lüste auf eine
andere als die im §. 127 bezeichnete Weise 196 geschlechtlich mißbraucht,
[ … ] wenn diese Handlung nicht das im §. 129, lit. b ) bezeichnete Verbre-
chen bildet «. Die Strafdrohung betrug ein bis fünf Jahre schweren Kerker.
Lagen » sehr erschwerende Umstände « vor, erhöhte sich die Strafdrohung
auf bis zu zehn Jahre und bei einem » wichtigen Nachteil « an Gesundheit
oder Leben des Opfers auf bis zu zwanzig Jahre schweren Kerker.
194 » Wer eine Weibsperson durch gefährliche Bedrohung, wirklich ausgeübte Gewalt-
thätigkeit, oder durch arglistige Betäubung ihrer Sinne außer Stand setzet, seinen
Lüsten Widerstand zu thun, und in solchem Zustande sie schändet, begeht das
Verbrechen der Nothzucht. «
195 Vgl Jenull Sebastian, Criminal-Recht II 190; Egger Franz von, Erklärung 137.
196 § 127 StG 1852 sah als Tathandlung den » unternommenen «, das heißt, den zumin-
dest begonnenen, nicht notwendigerweise auch vollendeten, Beischlaf vor.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik