Seite - 54 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
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54 II. Vom Trieb zur Lust
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
die Auffassung, dass Täter oder Täterin und Opfer auch gleichen Ge-
schlechts sein können, worauf die Anführung des § 129 I b StG im Wort-
laut des § 128 StG 1852 hinweise.203 Diese Meinung wurde von Altmann
und Siegfried Jacob schließlich jedoch zugunsten der Ansicht aufgege-
ben, dass » Unzucht zwischen Personen desselben Geschlechtes, auch
wenn ein Teil noch nicht vierzehn Jahre alt ist, nur nach § 129 I b, StG.,
und nicht nach § 128 StG. zu bestrafen ist. « 204 Richard Benda und Ar-
nold Lichem führten dagegen aus, dass » Subjekt « und » Objekt « des § 128
StG 1852 grundsätzlich verschiedenen Geschlechtes sein müssten. Seien
beide desselben Geschlechts, so müsse das » Objekt « unter 14 Jahre alt
sein und somit keine freie Willensbestimmung besitzen. Habe das über
14 Jahre alte gleichgeschlechtliche Objekt hingegen zugestimmt, käme
nur eine Strafbarkeit nach § 129 I b StG 1852 in Betracht.205
Die Rechtsprechung hatte sich dagegen bereits in einer Entscheidung
vom 21. April 1883 dahingehend geäußert, dass der wesentliche Unter-
schied zwischen der Schändung und der gleichgeschlechtlichen Unzucht
nicht etwa in der Geschlechtsverschiedenheit der beteiligten Personen
zu erblicken sei, sondern im Erfordernis der Wehr- und Bewußtlosig-
keit beziehungsweise der Unmündigkeit der missbrauchten Person.
Unzuchtsfälle, die den Tatbestand des § 129 I b StG 1852 nicht erfüllten,
könnten dennoch zur Anwendung des § 128 StG 1852 hinreichen, ein bei-
schlafähnlicher Akt sei jedenfalls zur Verwirklichung des Tatbestandes
der Schändung nicht zu fordern.206 Idealkonkurrenz zwischen den §§ 128
und 129 I b StG 1852 komme nicht in Betracht. Finde ein Unzuchtsakt zwi-
schen gleichgeschlechtlichen Personen statt, der unter den Tatbestand
der gleichgeschlechtlichen Unzucht subsumiert werden könne, so sei
ausschließlich diese Bestimmung anzuwenden.207 Auch das Schutzob-
jekt der beiden Delikte sei verschieden: Während § 129 I b StG 1852 nur
die Sittlichkeit an sich und die in der Allgemeinheit herrschende und
vom Gesetz gewollte Ethik schütze, solle § 128 StG 1852 dem geschlecht-
lichen Missbrauch einer Person gegen ihren Willen vorbeugen.208 Als ge-
203 Vgl Altmann Ludwig, Das Strafgesetz über Verbrechen, Vergehen und Uebertretun-
gen, in Ehrenreich Max Leopold ( hg ), Oesterreichische Gesetzeskunde II ( 1911 ) 99.
204 Altmann Ludwig / Jacob Siegfried, Kommentar I 340.
205 Vgl Benda Richard / Lichem Arnold, Die österreichische Strafgesetzgebung nach dem
Stande bis Ende Dezember 1937 4 ( 1938 ), 220.
206 E vom 21. April 1883, KH 539.
207 E vom 13. November 1885, KH 843.
208 E vom 7. Februar 1930, 5 Os 1181 / 29, SSt X / 21.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik