Seite - 72 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
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72 II. Vom Trieb zur Lust
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
vielmehr in seiner gewöhnlichen Bedeutung zu verstehen und gehe über
den Begriff des Beischlafes hinaus. Er erstrecke sich daher auch auf jede
andere Art des geschlechtlichen Missbrauchs: » › Unzüchtig ‹ im Sinne des
Gesetzes ist also jede Handlung, welche, der Erregung des Geschlechts-
triebes dienend, die von der Sitte gezogenen Grenzen überschreitet. « 289
Ob beide der am Unzuchtsakt beteiligten Personen eine Befriedigung
ihrer Geschlechtslust anstrebten, sei zur Erfüllung des objektiven Tat-
bestandes ebenfalls unbeachtlich. Auch wenn eine Person die Unzuchts-
handlungen an ihrem Körper bloß duldete, liege gleichgeschlechtliche
Unzucht vor. Es genüge, dass der andere Teil » die geschlechtliche Quali-
tät der zur Unzucht mißbrauchten Person kannte und dennoch an ihrem
Körper seine Geschlechtslust befriedigte. « 290
Seine Entscheidung begründete der Gerichtshof zunächst durch ei-
nen Vergleich der Deliktstatbestände der §§ 127, 128 und 129 StG 1852.
Aus dem Umstand, dass § 128 StG 1852 als » Schändung « solche Unzuchts-
akte bezeichne, die gerade nicht im Beischlaf bestehen, gleichzeitig aber
auch nur jene Akte umfasste, die nicht den Tatbestand des § 129 I b StG
1852 erfüllten, ergäbe sich, » daß letzterem Unzuchtsacte zwischen Per-
sonen desselben Geschlechtes auch dann zu unterstellen sind, wenn
sie auf eine vom Beischlafe verschiedene Art unternommen wurden. « 291
Ein beischlafähnlicher Akt zwischen Frauen sei darüber hinaus kaum
denkbar, dennoch hatte bereits eine Entscheidung aus dem Jahr 1887
festgestellt, dass § 129 I b StG 1852 sehr wohl auch die widernatürliche
Unzucht zwischen Frauen erfasse.292 Zur Tathandlung hatte sich der Ge-
richtshof damals nicht näher geäußert, sondern unter Berufung auf die
geschichtliche Entwicklung des Straftatbestandes lediglich festgehalten,
» daß auch jene von der Ordnung der Natur abweichende Befriedigung
des Geschlechtstriebes, welche unter dem Namen der Lesbischen Liebe
( Tribadie ) bekannt ist «, widernatürliche Unzucht iSd § 129 I b StG 1852
darstelle. Ob er dabei nun von Senfts » unzüchtigen Umarmungen « und
» ihrem unvollkommenen Genuß « ausging,293 oder von » cunnilingus inter
289 E vom 12. September 1902, KH 2747.
290 E vom 12. September 1902, KH 2747. Vgl zu diesem Wandel in der Rechtsprechung
auch Stooss Carl, Lehrbuch 2 463.
291 E vom 12. September 1902, KH 2747. Zur Abgrenzung zwischen § 128 und § 129 I b
StG 1852 siehe unten.
292 E vom 18. 2. 1887, KH 1028.
293 Vgl Senft Eduard, Österreichische Vierteljahresschrift für Rechts- und Staatswissen-
schaften 1866, 211.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik