Seite - 73 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Bild der Seite - 73 -
Text der Seite - 73 -
73
Das Strafgesetz 1852
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
femina « und » Tribadie, ganz gleichstehend den stossenden Bewegungen
inter femora und anderen beischlafähnlichen Handlungen « 294, wie sie
Krafft-Ebing beschrieben hatte, blieb unklar. Dadurch, dass die Sexualwis-
senschaft den Blick vermehrt auf die sexuelle Lust richtete, unterstützte
sie jedenfalls eine ausdehnende Interpretation:
» Auch beim Weibe kommt es durch genügende Reizung eroge-
ner Zonen zu einem der Ejakulation des Mannes analogen Vor-
gang, und der diesen bewirkende Akt wird damit zu einem Aequiva-
lent des Coitus. « 295
Die weitere Argumentation des Gerichtshofs in der Entscheidung über
Siegbert G. stützte sich in einem Selbstzitat auf eine nur wenige Monate
zuvor ergangene Kassationsentscheidung: Das Landesgericht Salzburg
hatte Theodor v. G. der Unzucht wider die Natur schuldig erkannt und
ihn zu sechs Monaten schwerem Kerker, verschärft durch zwei Fast-
tage im Monat, verurteilt. Als Tathandlung hatte das Gericht festge-
stellt, dass G. zwei unter vierzehn Jahre alte Knaben am Geschlechtsteil
und am After betastet und sie am Glied gezogen und gerissen habe.296
Der Oberste Gerichtshof sprach G. von dem Verbrechen nach § 129 I b
StG 1852 frei, erkannte ihn jedoch der Übertretung gegen die öffentliche
Sittlichkeit gem § 516 StG 1852 für schuldig und verurteilte ihn zu vier
Wochen strengem Arrest. Hinsichtlich des Freispruchs vom Verbrechen
der Unzucht wider die Natur führte der Gerichtshof aus,
294 Vgl Krafft-Ebing Richard von, Neue Studien auf dem Gebiet der Homosexualität,
Jahrbuch für sexuelle Zwischenstufen ( 1901 ) 1 ( 23 ). Unter Tribadie wird ( heute )
das Aneinanderreiben der weiblichen Genitalien beziehungsweise das Reiben der
Klitoris am Körper einer anderen ( weiblichen ) Person verstanden. Auch Krafft-
Ebing blieb jedoch eine exakte Definition des Begriffes schuldig. Desgleichen hatte
bereits Wahlberg in Holtzendorffs Rechtslexikon vom » Laster der Tribaden oder
[ der ] Lesbische[ n ] Liebe « gesprochen, jedoch festgehalten, es » erscheint nicht mit
Strafe bedroht «, Wahlberg Wilhelm Emil in Holtzendorff Franz von ( hg ), Encyclopä-
die 693.
295 Krafft-Ebing Richard von in Wissenschaftlich-humanitäres Comitée ( hg ), Jahrbuch 23
( Hervorhebung durch die Verfasserin ). Kritik an der » Erfindung « weiblicher Eja-
kulation durch Krafft-Ebing äußert Jeffrey Sheila, The spinster and her enemies:
feminism and sexualities, 1880–1930 ( 1997 ) 110, die darin ein gebräuchliches Motiv
zeitgenössischer Pornographie erblickt. Kritisch dazu Bauer Heike, Journal of the
History of Sexuality 2009, 94 f, sowie Bauer Heike, The Yale Journal of Criticism
2003, 391.
296 E vom 11. April 1902, Z. 13517. Die Entscheidung wurde in keine amtliche Samm-
lung aufgenommen, sie findet sich allerdings in einer Judikaturbesprechung, vgl
Sternberg Moritz, Zweierlei Recht, Gerichtshalle 1906, 293.
zurück zum
Buch Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin"
Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik