Seite - 74 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
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74 II. Vom Trieb zur Lust
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
» daß der im § 129 St.G. isoliert hingestellte Begriff › Unzucht wi-
der die Natur ‹ bezüglich des Umfanges der durch ihn zu treffen-
den Unzuchtshandlungen weder aus sich selbst noch aus dem
weiteren Inhalte des Strafgesetzbuches eine jeden Zweifel aus-
schließende Erläuterung finden kann. « 297
Der Umfang dessen, was als widernatürliche Unzucht eingestuft wurde,
habe sich zwar im Lauf der Zeit mehrfach geändert, jedoch sei immer
zumindest ein onanieartiger Akt – entweder an sich selbst oder an ei-
ner anderen Person gleichen oder verschiedenen Geschlechts – verlangt
worden.298
Aus der geschichtlichen Entwicklung des Tatbestandes, die der Ge-
richtshof bis auf das kanonische Recht zurück verfolgte,299 ergäbe sich,
dass die Constitutio Criminalis Theresiana, die zwischen Personen des-
selben ( oder verschiedenen ) Geschlechts verübte Onanie nicht straflos
stellen wollte, da sie schließlich auch die an sich selbst verübte Onanie
mit Strafe bedroht hatte. Das Josephinische Strafgesetzbuch habe aus
dem Straftatbestand der Unzucht gegen die Natur die Leichenschän-
dung, die Unzucht zwischen Personen verschiedenen Geschlechts und
die von jemandem allein verübte Onanie ausgeschieden. Daraus sei zu
schließen, dass onanistische Handlungen zwischen Personen desselben
Geschlechts den Tatbestand erfüllten. Daran habe auch die Diktion des
Josephinischen Strafgesetzes, die voraussetzte sich » mit seinem eigenen
Geschlechte fleischlich zu vergehen «, nichts geändert: » Fleischlich « sei
hier im Sinne von » sinnlich « zu verstehen – » Fleischeslust ist Sinnes-
lust «. Hinsichtlich des Deliktsumfanges hätten sowohl das Strafgesetz
1803 und als dessen Neuausgabe auch das Strafgesetz 1852 an das Josephi-
nische Strafgesetzbuch angeschlossen.300 Nicht die Beischlafähnlichkeit
einer Handlung sollte maßgeblich für die Erfüllung des Tatbestandes
sein, sondern, » ob sie auf die Erregung geschlechtlicher Lust gerichtet
war. « 301 Damit nahm der Oberste Gerichtshof eine Gleichsetzung von
zuvor unterschiedlich behandelten Verhaltensweisen vor und verschob
den Fokus von dem physisch erlebten Geschlechtstrieb hin zu einem
297 Sternberg Moritz, Gerichtshalle 1906, 293.
298 Vgl Sternberg Moritz, Gerichtshalle 1906, 294.
299 Vgl zu dieser Argumentationsfigur Bei Neda in Förster Wolfgang / Natter Tobias G. /
Rieder Ines ( hg ), Blick 164.
300 Vgl E vom 12. September 1902, KH 2747. Das Zitat findet sich in der Fußnote.
301 Hutter Jörg, Soziale Probleme 1991, 70.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik