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Das Strafgesetz 1852
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
führte aus, dass » das Betasten des Gesäßes eines auf dem Bauche lie-
genden Knaben « keinen Unzuchtsakt zwischen zwei Personen gleichen
Geschlechts darstelle, es » diente höchstens zur Erhöhung des Reizes
bei dem vom Angeklagten gleichzeitig, aber ohne Benützung des frem-
den Körpers verübten onanistischen Akte «. Zur Erfüllung des Tatbe-
standes sei aber jedenfalls auch eine masturbatorische Absicht zu for-
dern.312 Dieses Erfordernis bestätigte der Oberste Gerichtshof fast 25
Jahre später. Er hob das Urteil des Landesgerichts Wien I, mit dem die
Angeklagte H.H. wegen Verbrechens der Unzucht nach § 129 I b StG 1852
verurteilt worden war, mit der Begründung auf, dass es das Erstgericht
verabsäumt habe, die masturbatorische Absicht festzustellen. Dem Ur-
teil sei lediglich zu entnehmen, dass H.H. » der auf einem Diwan lie-
genden K.P. mit deren Zustimmung mit der Hand unter die Röcke griff
und deren Geschlechtsteil – möglicherweise über der Hose – betastete,
wobei beide Personen die geschilderte Unzuchtshandlung zur Befriedi-
gung ihrer Lüste begangen haben. « 313 Dies reiche jedoch zur Erfüllung
des Tatbestandes noch nicht aus.
Die bloße Berührung des fremden Geschlechtsteiles ohne mastur-
batorische Absicht genügte nach Ansicht des Obersten Gerichtshofs zur
Verwirklichung des Tatbestandes des § 129 I b StG 1852 selbst dann nicht,
wenn » das Betasten nur zur Befriedigung der eigenen Sinneslust oder
zur Erhöhung des Reizes des sich selbst Befriedigenden dient «.314 Werde
eine derartige Handlung an einer unmündigen Person vorgenommen,
so könne sie allerdings den Tatbestand der Schändung nach § 128 StG
1852 erfüllen.315 Das passive Dulden unzüchtiger Handlungen am eige-
nen Körper begründe dagegen Mittäterschaft: Es sei nicht erforderlich,
dass der Täter selbst Geschlechtsgenuss empfinde, sondern es genüge,
» dass er den sinnlichen Lüsten einer anderen Person vorsätzlich dienst-
bar war. « 316 Jugendlichen Personen, die eben erst die Pubertät erreicht
hatten, sollte die Duldung widernatürlicher Unzuchtsakte jedoch nur
dann zugerechnet werden, wenn sie die zur Erfassung der Tat als wider-
natürlicher Unzucht erforderliche Einsicht erreicht hatten.317
312 E vom 13. 7. 1908, Kr I 113 / 8, KH 3458.
313 E vom 21. März 1927, Os 76 / 27, SSt VII / 28.
314 E vom 22. Oktober 1937, 4 Os 690 / 37, SSt XVII / 129.
315 Vgl E vom 27. November 1928, 4 Os 774 / 28, SSt VIII / 147; E vom 28.Oktober 1937,
4 Os 690 / 37, SSt XVII / 129.
316 E vom 28. Oktober 1911, Kr III 88 / 11, RspSt 286.
317 Vgl KH 3550.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik