Seite - 78 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
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78 II. Vom Trieb zur Lust
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
Die Grenzen der versuchten Verleitung zur Unzucht wider die Natur
gem §§ 9, 129 I b StG 1852 zog der Oberste Gerichtshof dagegen weit:
Eine solche liege bereits bei einer » an eine bestimmte Person gerich-
tete[ n ] allgemein gehaltenen Aufforderung « vor. Diese Voraussetzun-
gen erachtete der Gerichtshof etwa bei einem Angeklagten als erfüllt,
der in einer Bedürfnisanstalt den Geschlechtsteil eines anderen Man-
nes angegriffen, den Mann zum Mitgehen aufgefordert, ihm mitgeteilt
hatte, dass er erwerbsmäßig gleichgeschlechtlichen Verkehr betreibe
und ihn im Voraus für den später auszuführenden Geschlechtsverkehr
bezahlen ließ.318
Die Lehre folgte dieser Entwicklung in der Rechtsprechung nicht
uneingeschränkt. Stooss zeigte sich von dem neuen sexualwissenschaft-
lichen Wissen vorerst unbeeinflusst und vertrat die Ansicht, dass das
gemeine Recht die sodomia ratione sexus nur bei Beischlaf zwischen Per-
sonen desselben Geschlechts angenommen und das österreichische
Recht die Unzucht wider die Natur im Sinne des gemeinen Rechts ver-
standen habe. Falls darüber Zweifel bestünden, so sei jedenfalls der mil-
deren Auffassung der Vorzug zu geben.319 Lammasch erweiterte dagegen
seine Auffassung iSd Rechtsprechung dahingehend, dass das Delikt nach
§ 129 I b StG 1852 sich nicht im Beischlaf oder beischlafähnlichen Hand-
lungen erschöpfe, sondern auch auf andere unzüchtige Handlungen zu
erstrecken sei.320 Nach Finger fand die Strafbarkeit der verschiedenen
denkbaren Arten der Unzucht im Zweckgedanken des Gesetzes ihren
Grund, insbesondere in » populationistischen Erwägungen « und » in dem
entsittlichenden Einfluß solchen Treibens auf die daran Beteiligten «.321
Finger selbst ging allerdings von einer hereditären Anlage zur Homosexu-
alität aus, wie sie auch von jenen Sexualwissenschaftern vertreten wurde,
die der Degenerationslehre nahe standen. De lege ferenda sprach er sich
daher für eine Beschränkung der Strafbarkeit aus, da das geltende Recht
die Konträrsexualen » zu normaler Befriedigung des Geschlechtstriebes
[ dränge ] und bewirkt, daß sich die konträrsexualen Neigungen forter-
ben, die aussterben würden, wenn sich die Gesetzgebung beschränken
318 Vgl E vom 7. März 1927, Os 80 / 27, SSt VII / 21.
319 Vgl Stooss Carl, Lehrbuch des österreichischen Strafrechts ( 1910 ) 433 sowie die 2.
Auflage ( 1913 ) 463 f.
320 Vgl Lammasch Heinrich, Grundriß des Strafrechts 4 ( 1911 ) 118, sowie Lammasch Hein-
rich / Rittler Theodor, Grundriß 5 369.
321 Finger August, Strafrecht II 3 776.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik