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80 II. Vom Trieb zur Lust
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
f. » Nicht [ . ] ungeeignet für solche Vorgänge « – Zur Fortsetzung
gerichtsmedizinischer Untersuchungen
Die gerichtsmedizinische Auseinandersetzung mit der Päderastie ver-
schwand durch die Erkenntnisse der Sexualwissenschaft nicht ganz,
nahm aber teilweise Elemente des sexualwissenschaftlichen Diskurses
in sich auf. Carl Emmert, Professor der Staatsmedizin an der Universi-
tät Bern, verwies in seinem 1900 erschienen Lehrbuch der gerichtlichen
Medizin hinsichtlich der Frage nach den Motiven, die zur Ausführung
» eines solchen scheulichen [ sic ! ] Lasters « führten, auf die von der Se-
xualwissenschaft festgestellten » Aberrationen des Geschlechtstriebes,
welche als perverser, conträrer Geschlechtstrieb bezeichnet werden « 327.
Bei passiven Päderasten ließen sich häufig weiblicher Habitus und
weibliche Neigungen feststellen, die sich auch im Körperbau äußern
konnten. Emmert selbst erachtete nicht jegliche gleichgeschlechtliche
Handlungen, sondern » nur die anale Art des Coitus bei männlichen
Individuen « 328 für strafwürdig. Allerdings könne die Päderastie nicht
immer einwandfrei nachgewiesen werden. In solchen Fällen sei zur Be-
weisführung nicht nur nach körperlichen Merkmalen, sondern auch
nach einem entsprechenden Empfinden zu suchen:
» Man könnte in solchen Fällen zur Unterstützung der richter-
lichen Erhebungen nur anführen, daß die Betreffenden ihren
körperlichen und psychischen Verhältnissen nach nicht als un-
geeignet für solche Vorgänge bezeichnet werden können. « 329
Noch 1912 gab Julius Kratter, Professor für gerichtliche Medizin in Graz,
Hinweise, wie jene » naturwidrige und ästhetisch abstoßende Befriedi-
gung des Geschlechtstriebes « 330, die Päderastie oder immissio penis
in anum, nachzuweisen sei. Während er die von Tardieu vertretene An-
sicht, aktive Päderasten seien an einer besonderen Form des Penis zu
erkennen, als unhaltbar zurückwies, stimmte er mit Casper darin über-
ein, dass die » faltenlose glatte Beschaffenheit der Haut um die Mast-
darmöffnung « als wichtigstes und sicherstes Erkennungszeichen pas-
327 Emmert Carl, Lehrbuch 485 ( Hervorhebung im Original ).
328 Emmert Carl, Lehrbuch der gerichtlichen Medizin. Mit Berücksichtigung der deut-
schen, oesterreichischen und bernischen Gesetzgebung ( 1900 ) 484.
329 Emmert Carl, Lehrbuch 489.
330 Kratter Julius, Lehrbuch der Gerichtlichen Medizin ( 1912 ) 184.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik