Seite - 83 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
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Zusammenfassung
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
Karl S. vermerkt, » daß Johann H. ein sehr krankes Aussehen hat, was
vermutlich auf den unnatürlichen Geschlechtsverkehr mit S. zurückzu-
führen sein dürfte. « 340 Und der fünfzehnjährige Schneiderlehrling und
ehemalige Ministrant Anton E., der von seinem Ortspfarrer zur Dul-
dung onanistischer Handlungen und zum Oralverkehr verführt worden
war, gab in seinem Geständnis an:
» K. [ der Pfarrer ] hat immer mit den Unzuchtshandlungen ange-
fangen und wäre mir selbst so etwas gar nicht eingefallen. Ich habe
seit zk. 3 Jahren immer Schmerzen im Glied und im Rücken und
leide auch an Kurzsichtigkeit. Seit ich keinen Unzuchtsverkehr
habe, haben die Schmerzen allerdings etwas nachgelassen. « 341
Gegenüber seiner Mutter äußerte Anton E.: » Schau ich schlecht aus, da
ist nur der Pfarrer schuld. « 342
D. Zusammenfassung
Von der ersten gesamtösterreichischen Strafrechtsordnung an bis weit
über das Ende des Untersuchungszeitraums dieser Arbeit hinaus stellte
das österreichische Strafrecht die gleichgeschlechtliche Unzucht zwi-
schen Männern wie auch zwischen Frauen unter Strafe. Der Anwen-
dungsbereich der Strafnorm, die ursprünglich auch Selbstbefriedigung,
Leichenschändung und » naturwidrigen « Verkehr zwischen Mann und
Frau umfasst hatte, wurde erstmals durch das Josephinische Strafge-
setz auf die gleichgeschlechtliche Unzucht und die Unzucht mit Tieren
verengt. Diese Art » fleischlicher Vergehen « wurde zwar unter die von der
Verwaltungsbehörde zu ahndenden politischen Verbrechen eingereiht,
jedoch nach wie vor mit drakonischen Strafen bedroht. Das Westgali-
340 OÖLA, BG / LG Linz Sch 301, Vr VI E 1157 / 23, Niederschrift vom 28. August 1923.
341 OÖLA, BG / LG Linz Sch 357, 13 Vr 370 / 30, Vernehmung des Beschuldigten vom
20. März 1930. » Rückenmarksleiden « wurde von einigen Gerichtsmedizinern als
Kennzeichen sexuellen Missbrauchs angeführt, vgl Schürmayer Ignaz Heinrich,
Lehrbuch 352; Mair Ignaz, Commentar 63. Ähnlich volkstümlich wie die Annahme,
gleichgeschlechtliche Handlungen könnten Kurzsichtigkeit und Rückenmarkslei-
den auslösen, scheint die von Karl K., dem beschuldigten Pfarrer, in einem Brief an
Anton E.s Vater geäußerte Hoffnung: » Vieleicht [ sic ! ] läßt sich das Leiden, das er
hat ( was ist es ? ) mit Thee oder dergleichen heilen, ohne Doktor ? «, OÖLA, BG / LG
Linz Sch 356, 6 Vr 312 / 30, Brief an Anton E. sen. Vom 22. Jänner 1930.
342 OÖLA, BG / LG Linz Sch 357, 13 Vr 370 / 30, Anzeige vom 20. Februar 1930.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik