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Lasterhaftigkeit und Kriminalität
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
umgekehrt die fehlende rechtliche Verantwortlichkeit von Frauen fĂĽr
ihre sexuellen Handlungen eine nur beschränkte Anerkennung ihrer
sexuellen Autonomie.347
Eigenständige weibliche Sexualität stellte einen Widerspruch zu
den vorherrschenden Annahmen über Sexualität dar, die den heterose-
xuellen Verkehr eindeutig gegenĂĽber jeglichen anderen Ausdrucksfor-
men menschlicher Sexualität privilegierten.348 Die Strafverfolgungsbe-
hörden unterstellten Frauen, die wegen gleichgeschlechtlicher Unzucht
beschuldigt wurden, häufig ganz allgemein » Schamlosigkeit « und » Ver-
dorbenheit «: Lasterhaftigkeit und weibliches gleichgeschlechtliches Se-
xualverhalten schienen in diesen Vorstellungen untrennbar miteinan-
der verwoben. Gleichzeitig verstellte die Fokussierung auf weibliche
sexuelle Devianz schlechthin den Blick auf spezifischere Formen sexuel-
ler Abweichung von Frauen. Die Deutung von – auch geschlechtlichen –
Kontakten zwischen Frauen als » romantische Freundschaft « wurde im
ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert zusehends ĂĽberla-
gert von der » Tribade «, die als lasterhafte, moralisch verkommene Figur
Eingang in den medizinischen und sexualwissenschaftlichen Diskurs
fand. Zu ihren hervorstechendsten Eigenschaften zählte eine unange-
passte, gesellschaftlich randständige Lebensweise.349 Die Tatsache, dass
eine nicht unbedeutende Zahl wegen gleichgeschlechtlicher Unzucht ver-
folgter Frauen der Prostitution nachging, begĂĽnstigte derlei diskursive
Verschiebungen.350 Umgekehrt standen Frauen, die sich prostituierten,
347 Vgl Engelstein Laura, Key 75. So empfand es wohl auch Wahlberg: » Das deutsche
Strafrecht ehrt die Frauen, indem es dieselben so gut wie die Männer für gleich be-
stimmbar durch die Motive des allgemeinen Strafgesetzes erklärt und ihnen kein
geringeres Mass der Verantwortlichkeit fĂĽr Verbrechen und Vergehen vorzeich-
net. « Vgl Wahlberg Wilhelm Emil, Gesammelte kleinere Schriften und Bruchstücke
über Strafrecht, Strafprocess, Gefängniskunde, Literatur und Dogmengeschichte
der Rechtslehre in Ă–sterreich I ( 1875 ) 132.
348 Wie wirkmächtig derartige Anschauungen sind, erhellt etwa die noch 1992 von
Klaus Schwaighofer vertretene Ansicht, von Vergewaltigung könne nur dann ge-
sprochen werden, wenn der Penis eines Mannes » im Spiel « sei, vgl JBl 1992, 729.
349 Vgl Van der Meer Theo, Tribades on Trial: Female Same-Sex Offenders in Late Eigh-
teenth-Century Amsterdam, Journal of the History of Sexuality 1991, 424. Zum
Teil erfolgte eine Umdeutung bislang kulturell akzeptierter romantischer Frau-
enfreundschaften in stark sexualisierte Verhältnisse, dazu Faderman Lillian, Köst-
licher als die Liebe der Männer. Romantische Freundschaft und Liebe zwischen
Frauen von der Renaissance bis heute ( 1990 ) 313 ff.
350 So wurden etwa auch in dem hier untersuchten Aktenbestand des Landesgerichtes
Linz vier von siebzehn weiblichen Beschuldigten als Prostituierte eingestuft. Vgl
Anhang 9.
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Buch Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin"
Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik