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110 III. Das Recht zu sündigen
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
losigkeit gegen oberstgerichtliche Entscheidungen anzukämpfen, » so-
bald man die vom psychiatrischen Standpunkte aus einzig richtige An-
schauung vertritt « 439, sondern stellte darüber hinaus die Frage, wel-
che Funktion der Gerichtssachverständige eigentlich zu erfüllen habe.
Berze, der dieser Problematik eine über die forensische Behandlung
der konträren Sexualempfindung hinausreichende Bedeutung zumaß,
trat dafür ein, dass sich der Gerichtspsychiater nicht um die Auslegung
der Gesetze kümmern sollte. Er habe ein möglichst klares und deut-
liches Gutachten abzufassen, auf dessen Grundlage der Richter über
das Vorliegen oder Nichtvorliegen eines Schuld- oder Strafausschlie-
ßungsgrundes nach juristischen Prinzipien zu entscheiden hätte.440
Dies entsprach auch dem gesetzlichen Rahmen, den § 134 StPO 1873
vorgab und der die Zurechnungsfähigkeit zu einem rein juristischen
Begriff machte.441
Die vielleicht größte Schwierigkeit in der Auseinandersetzung zwi-
schen Medizinern und Juristen lag darin begründet, dass die beiden
Disziplinen den einzelnen Begriffen jeweils unterschiedliche Bedeu-
tung beimaßen. Der Jurist und wissenschaftliche Direktor des krimi-
nologischen Instituts der österreichischen Staatspolizei, Siegfried Tür-
kel, gab diesbezüglich die Meinung der » Mehrzahl der österreichischen
Irrenärzte « 442 wieder:
» Die Bezeichnung › zurechnungsfähig ‹ und › unzurechnungsfä-
hig ‹ seien gar nicht der Terminologie der psychiatrischen Wis-
senschaft entnommen, und der Begriff › Zurechnungsfähigkeit ‹
sei ein metaphysischer oder juridischer, aber kein naturwissen-
schaftlicher. Mit diesem metaphysischen Begriffe solle nun der
naturwissenschaftliche Begriff › Krankheit ‹ in Einklang gebracht
werden, ein Verlangen, das in befriedigender Weise nicht zu er-
füllen sei. « 443
Die Frage nach dem Vorliegen oder Nicht-Vorliegen der Zurechnungsfä-
higkeit könne durch ärztliche Untersuchung nicht erkannt und zweifels-
frei festgestellt werden. Vielmehr handle es sich » um eine › juristische
439 Berze Josef, Rezension: Die Bedeutung der Homosexualität nach österreichischem
Strafrecht, MSchrKrim 1906 / 07, 223 ( 225 ).
440 Vgl Berze Josef, MSchrKrim 1906 / 07, 225.
441 Vgl Altmann Ludwig / Jacob Siegfried, Kommentar 42.
442 Türkel Siegfried, Psychiatrisch-kriminalistische Probleme ( 1905 ) 6.
443 Türkel Siegfried, Probleme 6.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik