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112 III. Das Recht zu sündigen
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
» Dazu kommt, dass bei der Mehrzahl dieser Unglücklichen der
perverse Sexualtrieb mit abnormer Stärke sich geltend macht
und dass ihr Bewusstsein vielfach den perversen Trieb nicht
einmal als etwas Widernatürliches erkennt. Damit ermangeln
sie sittlicher, ästhetischer Gegengewichte zur Bekämpfung des
Dranges.
Unzählige normal constituierte Menschen sind im Stande, auf
Befriedigung ihrer Libido zu verzichten, ohne durch diese er-
zwungene Abstinenz an ihrer Gesundheit Schaden zu nehmen.
Viele Neuropathiker – und dies sind Urninge durchweg – werden
dagegen schwer nervenkrank, wenn sie dem Naturtriebe nicht
genügen oder ihn in für sie perverser Weise befriedigen. « 451
Dagegen hielt der Oberste Gerichtshof daran fest, dass die Befriedigung
des Geschlechtstriebes nicht zur Verletzung eines Rechtsgutes ermäch-
tige. Der Trieb allein mache auch nicht willensunfrei: 452
» Auch normal veranlagte Individuen kommen in Lagen, in de-
nen sie ihren Geschlechtstrieb zügeln müssen. Für Homosexu-
elle ein Privilegium zu schaffen, geht nicht an; die konträrsexu-
elle Geschlechtsempfindung mag als krankhafte Veranlagung,
die den Verstand in gewissen Beziehungen abschwächt und bei
etwaiger hypersexueller Erregung zu einer heftigen Gemütsbe-
wegung führt, nach § 46, al. a und d St. G. strafmildernd wirken;
einen Strafausschließungsgrund aber bildet sie, falls sie nicht
mit allgemeiner Geistesgestörtheit einhergeht [ … ] nicht. « 453
Die konträre Sexualempfindung konnte somit nur dort Einfluss auf die
Strafbarkeit entfalten, wo sie mit weiteren Krankheitszeichen einher-
ging oder als Strafmilderungsgrund gewertet wurde. Normgemäßes
Verhalten galt der Rechtsprechung regelmäßig auch dann als zumut-
bar, wenn konträre Sexualempfindung durch ärztliches Gutachten fest-
gestellt wurde.
451 Krafft-Ebing Richard von, Psychopathia 12 406.
452 Vgl KH 3031. Mit der Frage, welches Rechtsgut die widernatürliche Unzucht zwi-
schen Personen desselben Geschlechts verletze, setzte sich der Gerichtshof nicht
näher auseinander.
453 KH 2840.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik