Seite - 121 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
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Zusammenfassung
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
liegen der Zurechnungsfähigkeit in den Aufgabenbereich der Gerichte.
Die wegen gleichgeschlechtlicher Unzucht Beschuldigten wurden im
Regelfall als für ihre Handlungen im strafrechtlichen Sinne verantwort-
lich angesehen. Psychiatrische Gutachten führten allenfalls zu einer
Strafmilderung, ein freisprechendes Urteil vermochten sie nur dort her-
beizuführen, wo neben der konträren Sexualempfindung eine den Ver-
standesgebrauch ausschließende Geisteskrankheit festgestellt wurde.
Darüber hinaus hatten sich die Sachverständigen nicht zu der Frage
zu äußern, ob ein Schuld- oder Strafausschließungsgrund vorlag. In
der Praxis hielten sich die als Gutachter beigezogenen Sachverständi-
gen allerdings nicht immer strikt an diese Vorgaben. Sie nahmen aus-
drücklich dazu Stellung, ob sie lit a, b oder g des § 2 StG 1852 als erfüllt
erachteten und gaben Empfehlungen hinsichtlich der zu verhängen-
den Strafe ab. Wenngleich sie im Untersuchungszeitraum in keinem
einzigen Fall durch die konträre Sexualempfindung einen Schuld- oder
Strafausschließungsgrund verwirklicht sahen, traten sie durchwegs für
eine milde Bestrafung der Beschuldigten ein, sodass zwar nicht von ei-
ner Entkriminalisierung, wohl aber von einer Strafmilderung durch den
Einfluss sexualwissenschaftlicher Erkenntnisse in das Strafverfahren
gesprochen werden kann. Keine einzige der vom Landesgericht Linz we-
gen gleichgeschlechtlicher Unzucht beschuldigten Frauen wurde einer
psychiatrischen Begutachtung unterzogen. Weibliche gleichgeschlecht-
liche Sexualität wurde im juristischen und medizinischen Diskurs ten-
denziell eher mit weiblicher Devianz und Kriminalität im Allgemeinen
assoziiert, wozu auch der Anteil an Prostituierten unter den Beschuldig-
ten Anlass gab. Für eine Untersuchung des Geisteszustands weiblicher
Beschuldigter blieb dagegen wenig Raum.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik