Seite - 135 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Bild der Seite - 135 -
Text der Seite - 135 -
135
Die österreichische Reformdiskussion von 1852 bis zum Ersten Welkrieg
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
beeinträchtigt und Niemand verführt wird « 529, verschloss sich der Straf-
gesetzausschuss. Er kehrte vielmehr zu der im Rahmen des ersten Re-
formversuchs bereits aufgegebenen Auffassung zurück, dass es sich bei
der Strafdrohung nicht etwa um den Ausdruck » reiner Moral « handle,
sondern diese der Hintanhaltung eines Lasters diene, » welches inso-
ferne als gemeingefährlich betrachtet werden muß, als die Geschichte
lehrt, daß ganze Völker dadurch depravirt [ sic ! ] wurden. « 530
Zu einer Beratung des Entwurfes 1877 im Plenum des Abgeordneten-
hauses kam es nicht mehr. Die neuerliche Auflösung des Abgeordneten-
hauses am 22. Mai 1879 531 bedeutete vorerst eine Zäsur der Strafrechts-
reform. Erst am 14. November 1881 legte Alois von Pražak, Justizminister
der konservativen Regierung Graf Eduard Taaffes, einen Entwurf vor,
der mit dem Entwurf 1874 übereinstimmte und auch die Ausschussbe-
schlüsse berücksichtigte. Das Delikt der widernatürlichen Unzucht war
gleich lautend wie im Entwurf 1874 / 77 in § 188 geregelt. Das offenkun-
dige Abgehen von der im österreichischen Recht bestehenden Straf-
barkeit gleichgeschlechtlicher Unzucht sowohl zwischen Männern als
auch zwischen Frauen fand allerdings keine ungeteilte Zustimmung.
Der deutsch-österreichische Rechtswissenschafter und Strafrechtspro-
fessor in Graz Theodor Reinhold Schütze verteidigte das geltende Recht,
das ihm mit seiner Strafbarkeit für beide Geschlechter vollständiger
erschien. Im Entwurf sei der Wortlaut dahingehend zu ändern, dass
die Unzucht » zwischen Personen des nämlichen Geschlechtes « unter
Strafe gestellt werde.532
529 Bericht des Strafgesetzausschusses über die Regierungsvorlage, betreffend ein
neues Strafgesetz über Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen. Zu 392 BlgS-
tenProtAH 9. Session 287.
530 Bericht des Strafgesetzausschusses über die Regierungsvorlage, betreffend ein
neues Strafgesetz über Verbrechen, Vergehen und Uebertretungen. Zu 392 BlgS-
tenProtAH 9. Session 287.
531 Kaiserliches Patent vom 22. Mai 1879, betreffend die Auflösung des Hauses der Ab-
geordneten des Reichsratzes und die Vornahme der Neuwahlen für dasselbe, RGBl
1879 / 67.
532 Vgl Schütze Theodor Reinhold, Zur Kritik des neuesten österreichischen Strafgesetz-
entwurfes, Allgemeine Österreichische Gerichts-Zeitung 1882, 205 ( 230 ).
zurück zum
Buch Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin"
Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik