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140 IV. Wunsch nach einem neuen Strafrecht
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
Das Strafgesetz hielt Krafft-Ebing fĂĽr ein ungeeignetes Mittel, um die Be-
gehung gleichgeschlechtlicher Handlungen zu verhindern. Wie zahlrei-
chen anderen kriminologisch tätigen Psychiatern um die Jahrhundert-
wende diente Krafft-Ebing die von dem französischen Psychiater Benédict
Augustin Morel entwickelte Degenerationslehre als Erklärung für sexuell
auffällige Verhaltensweisen. Abweichendes Verhalten galt als Symptom
der degenerativen Entartung des Individuums, als Störung innerhalb
des natĂĽrlichen Entwicklungsprozesses. Die Frage nach der Vererblich-
keit derartiger Abweichungen und des medizinischen Umgangs damit
rĂĽckte in den Vordergrund.555 Viel besser als durch Strafnormen sei die
Gesellschaft durch die Moral » des sittlich und physisch nicht degener-
irten Individuums « geschützt.556 Da Krafft-Ebing aber bewusst war, dass
der Forderung nach Beseitigung der Strafbarkeit der gleichgeschlecht-
lichen Unzucht wohl kein Erfolg beschieden sein wĂĽrde, suchte er Vor-
schläge zu machen, die zwar die Strafbarkeit bestehen ließen, den
» üblen Folgen « dieser Gesetzgebung jedoch vorbeugten. Unerlässlich
erschien ihm ein spezieller Schutz der Jugend, hinsichtlich dessen er fĂĽr
eine Erhöhung der bestehenden Altersgrenze von vierzehn Jahren auf
wenigstens sechzehn Jahre eintrat. Ferner habe das Strafgesetz Schutz
vor gewaltsam oder durch Drohung erzwungenen geschlechtlichen
Handlungen zu bieten. Krafft-Ebing trat auch fĂĽr Strafbestimmungen
gegen die Gefährdung der öffentlichen Sittlichkeit und gegen männli-
che Prostitution ein.557 Die männliche Prostitution schätzte Krafft-Ebing
als gefährlicher ein als ihr weibliches Gegenstück, strafrechtlich war sie
tatsächlich aber nur im Hinblick auf § 129 I b StG relevant.558 Anstelle
dieser Bestimmung schlug er folgende Formulierung vor: » Wer mit ei-
ner Person des eigenen Geschlechtes, welche das achtzehnte Lebens-
jahr noch nicht vollendet hat, Unzucht treibt, ist mit … zu bestrafen. « 559
555 Vgl Oosterhuis Harry, Stepchildren 100 ff.
556 Krafft-Ebing Richard von, Conträrsexuale 28.
557 Krafft-Ebing Richard von, Conträrsexuale 29 ff.
558 Geschlechtliche Handlungen zum Erwerb materieller Vorteile konnten bei einer
Verurteilung wegen Unzucht wider die Natur einen Erschwernisgrund darstellen.
Insgesamt erreichten die Diskussionen um mann-männliche Prostitution in Ös-
terreich nie die gleiche Intensität wie in Deutschland. Vgl zum deutschen Diskurs
um gleichgeschlechtliche ( männliche ) Prostitution Lücke Martin, Männlichkeit.
559 Krafft-Ebing Richard von, Conträrsexuale 33. Für den Fall, dass diese Formulierung
keine Billigung fand, nannte Krafft-Ebing weitere mögliche Fassungen: » Eine voll-
jährige Person, welche mit einer minderjährigen desselben Geschlechtes Unzucht
treibt, ist … zu bestrafen. « oder » Die widernatürliche Unzucht, welche von einer
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Buch Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin"
Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik