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146 IV. Wunsch nach einem neuen Strafrecht
Elisabeth Greif • Verkehrte
Leidenschaft¶
» dass die aus krankhafter Naturanlage resultirenden sodomi-
tischen Handlungen, von Erwachsenen untereinander began-
gen, nicht strafrechtlich verfolgt werden. Wer die moralischen
und physischen Leiden dieser Stiefkinder der Natur kennt, wird
diese Forderung als eine im Namen der Humanität und der Ge-
rechtigkeit gestellte empfinden. « 587
Die österreichische Strafrechtsreform stagnierte jedoch. Auch Schön-
born hatte die wiederholt in Angriff genommene Novellierung des Straf-
gesetzes nicht zum Abschluss bringen können. Der Versuch einer Libe-
ralisierung der Sexualdelikte musste desgleichen als gescheitert gelten.
Weder die zu Beginn der Reformbestrebungen innerhalb der Gesetzge-
bung und der Rechtswissenschaft vertretene Auffassung, es fehle hin-
sichtlich der gleichgeschlechtlichen Unzucht an einem Strafbedürfnis,
noch die Empfehlungen aus medizinischen Fachkreisen, die Strafbar-
keit zu beseitigen, hatten sich durchsetzen können. Die am Strafrecht
des Deutschen Reiches orientierte Einschränkung der Strafbarkeit auf
den mannmännlichen Verkehr, die der österreichischen Rechtstradi-
tion fremd war, stieß auf keine ungeteilte Zustimmung. Kurz vor Ende
des 19. Jahrhunderts war man im Wesentlichen wieder zu einer Befür-
wortung der Strafbarkeit für beide Geschlechter zurückgekehrt.
4. Ein Angriff auf die Geschlechtsordnung der Natur –
Vom Referentenentwurf 1902 zur Regierungsvorlage 1913
Am 16. Dezember 1897 setzte Justizminister Ignaz Ruber eine Ministeri-
alkommission zur Ausarbeitung eines neuen Strafgesetzentwurfes ein.
Diese bestand aus Hoegel, damals Strafrechtsreferent im Justizministe-
rium und später Generalprokurator, sowie den Professoren Lammasch
und Stooss.588 Der von dieser Kommission ausgearbeitete Referenten-
entwurf 1902 589 wurde 1906 in einer überarbeiteten und redigierten
Fassung einer Enquete aus Praktikern und Theoretikern und schließ-
lich einer Kommission zur Beratung vorgelegt. Ein Komitee bestehend
aus Wenzeslaus Gleispach, Lammasch, Adolf Lenz, Alfred Schober und
587 Krafft-Ebing, Der Conträrsexuale 31.
588 Vgl Hoegel Hugo, Geschichte 100.
589 Teile des Entwurfs finden sich bei Bachitsch Nora, Entwicklung 196 ff abgedruckt.
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Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik