Seite - 159 - in Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Bild der Seite - 159 -
Text der Seite - 159 -
159
Die österreichische Reformdiskussion von 1852 bis zum Ersten Welkrieg
Elisabeth Greif • Verkehrte Leidenschaft ¶
Eine gänzlich andere Richtung als die Vorschläge Hoegels schlug der
private Entwurf des Arztes und Juristen Oskar von Sterneck ein.650 Ster-
neck sah Reformbedarf vor allem in Hinblick auf die Frage gegeben,
welche Tatbestände überhaupt strafbar sein sollten. Die Sittlichkeitsde-
likte hielt Sterneck für eines der wichtigsten Gebiete der Verbrechensbe-
kämpfung, auf dem jedoch gleichzeitig die geringsten Erfolge verzeich-
net würden. Das Strafrecht habe schlechte und schädliche Handlungen
zu pönalisieren.651 Bei den Sittlichkeitsdelikten seien insbesondere
Notzucht, Schändung, Verführung und gewerbsmäßige Unzucht als
Tatbestände zu ahnden. Die gleichgeschlechtliche Unzucht sowie die
Unzucht mit Tieren fanden sich dagegen in Sternecks Entwurf nicht.652
Tatsächlich erwähnte Sterneck die widernatürliche Unzucht in seiner ge-
samten Schrift nur ein einziges Mal, nämlich anlässlich seiner Kritik an
der Gesetzestechnik der Unzuchtsverbrechen der §§ 129 bis 132 StG 1852.
Wenn schon, so müsste man die aufgezählten Unzuchtsverbrechen in
einem Paragraphen zusammenfassen, » wofür kaum eine Notwendig-
keit besteht « 653. Sternecks Haltung im Hinblick auf die Sittlichkeitsde-
likte lässt sich allerdings nicht durchgehend als liberal bezeichnen. Als
» unzüchtig « wollte Sterneck jede Handlung oder Unterlassung verstan-
den wissen, » welche das geschlechtliche Schamgefühl gröblich verletzt «.
Mit den zu verhängenden Kerkerstrafen sollten körperliche Züchtigung
und andere Strafschärfungen verbunden werden, die Anwendung des
außerordentlichen Milderungsrechtes schloss der Entwurf bei den Sitt-
lichkeitsdelikten weitestgehend aus.654
650 Vgl Sterneck Oskar von, Die Reform des Österreichischen Strafrechtes ( 1908 ).
651 Vgl Sterneck Oskar von, Reform 16.
652 Vgl Sterneck Oskar von, Reform 148. Dass Sterneck sich zur Frage der Straflosigkeit
der widernatürlichen Unzucht nicht näher äußert, überrascht insofern, als er in
der Frage der Abtreibung, für deren Straflosigkeit er vehement eintritt, diese Über-
zeugung hinlänglich begründet, vgl Sterneck Oskar von, Reform 19.
653 Sterneck Oskar von, Reform 85.
654 Vgl Sterneck Oskar von, Reform 148 ff. Vehement trat Sterneck für die strafrechtliche
Verfolgung der gewerbsmäßigen Unzucht ein. Die Schäden, die die gewerbsmä-
ßige Unzucht verursache, seien » notorisch unermeßlich «, bestraft werden sollten
beide Teile, vgl Sterneck Oskar von, Reform 26 ff. Ein anonymer Rezensent stufte
Sternecks Vorschläge insgesamt als zu konservativ ein, vgl A.A., Die Reform des Ös-
terreichischen Strafrechts. Von Dr. Oskar von Sterneck. Pp. 196. Innsbruck: Verlag
der Wagner’schen Universitätsbuchhandlung, 1908, Journal of the American Ins-
titute of Criminal Law and Criminology 1911, 145.
zurück zum
Buch Verkehrte Leidenschaft - Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin"
Verkehrte Leidenschaft
Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
Aus- und Verhandlungsprozesse vor dem Landesgericht Linz 1918 – 1938
- Titel
- Verkehrte Leidenschaft
- Untertitel
- Gleichgeschlechtliche Unzucht im Kontext von Strafrecht und Medizin
- Autor
- Elisabeth Greif
- Verlag
- Jan Sramek Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2019
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7097-0205-5
- Abmessungen
- 15.0 x 23.0 cm
- Seiten
- 478
- Kategorie
- Recht und Politik